Die so Geliebte

Der Dokumentarfilm „Une suisse rebelle“ berichtet von der Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach

„Sie rannte wie ein Junge, der endlich, endlich aus der Schule darf. Ihr Haar, das ihr jetzt in die Stirn wehte, war geschnitten wie das Haar eines Jungen. Man hätte sie, aus einiger Entfernung, für einen Gymnasiasten halten können“, schreibt Klaus Mann über Annemarie Schwarzenbach.

Die Biografie der 1908 in Zürich geborenen Fotografin, Schriftstellerin, Journalistin ist anrührend wie die so vieler jung verstorbener Künstler. Schwarzenbach entstammte einer Großindustriellenfamilie, die sich später auf die Seite der Nazis schlug, promovierte mit 23 in Geschichte, schrieb Erzählungen, Romane, Journalistisches, war lesbisch, meist unglücklich verliebt. Das Verhältnis zu ihrer Familie, von der sie zeitlebens finanziell abhängig blieb, war gespannt. Gerne fuhr sie schnell Auto, reiste durch die Welt – Afghanistan, Indien, New York, Berlin und so weiter, war lange Zeit morphiumsüchtig und starb mit 34 an den Folgen eines unglücklichen Fahrradunfalls.

Eine Biografie wie aus einem surrealistischen Roman. Mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann war Annemarie Schwarzenbach befreundet, in Erika war sie lange unglücklich verliebt, Klaus nahm sie gern als Vorbild für Figuren seiner Romane. Zwar unterstützte Annemarie Schwarzenbach dessen Exilzeitschrift Die Sammlung; ihre Texte zu veröffentlichen lehnte der Beatnik aus der Nobelpreisfamilie aber ab. Auch viele ihrer antifaschistischen Texte wurden nicht gedruckt.

Ihr postumer Ruhm begann, als ihre Werkausgabe ab 1988 allmählich erschien. Dann wurde sie zu einer Art Symbolfigur. Melania G. Mazzucco hat grade einen Roman – „Die so Geliebte“ – über Annemarie Schwarzenbach geschrieben, und es gibt auch zwei Filme; der eine – „Die Reise nach Kafiristan“ – ist eher fiktional; der andere, „Une suisse rebelle“, der nun in der Brotfabrik gezeigt wird, ist ein leider allzu konventionell und oberflächlich geratenes Porträt, das nur deswegen sehenswert ist, weil die größtenteils von ihrer Familie zur Verfügung gestellten historischen Filmaufnahmen sehr schön und die Zeitzeugen interessant und sympathisch sind. Aber die Freundinnen und der kurzzeitige Ehemann, ein homosexueller französischer Botschafter, den sie in Persien kennen gelernt hatte, kommen viel zu kurz Wort. Der Regisseurin Carole Bronstein fehlte der Mut zur Unvollständigkeit.

DETLEF KUHLBRODT

„Annemarie Schwarzenbach – Une suisse rebelle“. Regie: Carole Bronstein, Schweiz/Frankreich 2002, 60 Min., im Kino in der Brotfabrik