Am runden Tisch der Missverständnisse

Weil wenig für sich selber steht: Das Museum am Ostwall in Dortmund zeigt mit „On Translation: Das Museum“ die erste umfassende Werkschau des Medienkünstlers Antoni Muntadas in Deutschland. Dafür liefert der Künstler die Werke, die Kuratoren die Konzeption, und die Besucher dürfen schwitzen

von PETER ORTMANN

Vor dem Dortmunder Museum am Ostwall steht ein Pärchen und küsst sich. Was hat das mit Kunst zu tun? Erst einmal nichts. Über ihnen hängt ein blutrotes Transparent mit der Aufschrift: „Warning: Perception Requires Involvement“. Das sieht in jedem Fall nach Kunst aus. „Vorsicht: Wahrnehmung erfordert Engagement“ oder „Warnung: Erkenntnis verlangt nach Einmischung“? Schwierig ist die Übersetzung, eigentlich unmöglich. Und warum muss vor Einmischung oder Engagement gewarnt werden?

Das Transparent stammt vom spanischen Documenta-Teilnehmer Antoni Muntadas, der zu der frühen Generation der MedienkünstlerInnen gezählt wird. Die Präsentation im Museum am Ostwall sei keine Ausstellung, darauf legt Muntadas enormen Wert. Sein Projekt „On Translation: Das Museum“ analysiert im Kern die Kunst der Übersetzung, ihre Tücken und die damit verbundenen Blockaden der Welt auf dem Weg in eine scheinbare mediale Globalisierung. „Ein globales Mitteilungssystem wie das Internet könnte das bessere Verständnis zwischen Völkern möglich machen, doch welche Sprache sollen wir verwenden?“, fragt Muntadas. Hier kommt das Pärchen wieder ins Spiel. Küssen ist nicht so schwierig, und es wird weltweit wahrscheinlich leichter verstanden als Sprache. Doch die und ihre Übersetzung ist Grundlage jeder internationalen politischen Vereinbarung oder Handelstransaktion. Geküsst wird hier leider nicht, beziehungsweiseseit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staatensysteme nicht mehr.

Die erste umfassende deutsche Einzelpräsentation der medienkritischen Arbeiten des Spaniers findet in einem Provinzmuseum im Ruhrgebiet statt. Das mag verwundern, ist aber für den 1942 in Barcelona geborenen, heute in New York lebenden Künstler kein Problem. Ort und Räumlichkeit spielen für ihn eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist ihm ein überzeugendes Konzept und die damit verbundene fortwährende Interpretation seiner Arbeiten durch die jeweiligen Kuratoren, denen er dafür viel Einfluss auf sein Werk überlässt. Das Dortmunder Konzept hat ihm gefallen, und deshalb wanderten die Arbeiten vom Museu d’Art Contemporani de Barcelona (Macba) ins Museum am Ostwall.

Die Kuratoren, Iris Dressler und Hans D. Christ, haben rund 50 Projekten von Muntadas eine neue, subjektive Struktur gegeben, die mit Hilfe von Titeln in zehn thematische Zonen aufgegliedert ist. „Das Konzept selbst ist schon eine Form der Kunstvermittlung“, sagt Iris Dressler. Sie hätten die zeitliche Chronologie, im Gegensatz zur Ausstellung in Spanien im letzten Jahr, zugunsten einer thematischen Fokussierung bewusst verlassen. Ihr Interpretationsangebot bewegt sich auf drei Ebenen: der der Werkpräsentation („On Translation: Das Museum“), der der neuen Arbeit („On Translation: Die Sammlung“) und der des Film- und Videoprogramms, das zwischen dem 4. und dem 6. Juli stattfindet und das der Filmwissenschaftler Eugeni Bonet (Barcelona) kuratiert hat. Im Zentrum steht freilich Muntadas in Helsinki begonnene Serie „On Translation: The Pavillon“, in der er sich mit der nur scheinbaren Neutralität von Übertragungs- und Übersetzungswegen beschäftigt. Er arbeitet fast ausschließlich mit vorgefundenem Material. Seit 30 Jahren trägt er beispielsweise Sicherheitsvorschriften weltweiter Fluggesellschaften zusammen. Aber auch Zeitungsausschnitte, Prospekte, Videos, Fernsehbilder, selbst komplette CNN-Interviews werden Teil der seriellen Kritik an übergreifenden Medien- und Kulturprozessen.

Für die thematische Zone „Lobby“ steht in der zentralen Halle des Museums ein massiver runder Edelholztisch, auf den zwölf Leuchtkästen montiert sind („On Translation: La mesa de negociación“). Sie zeigen Karten, auf denen Planspiele für die weltweite Verteilung von Handelsgütern verzeichnet sind. Die Beine des Tisches sind unterschiedlich lang, das Höhenniveau gleichen Bücher aus Politik, Wirtschaft und Medien aus. An solchen Tischen werden wesentliche geopolitische Entscheidungen durch die großen Nationen und wirtschaftlichen Vereinigungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen.

Eine ähnliche Installation war auch das erste Projekt der „On Translation“-Serie in Helsinki. „On Translation: The Pavillon“ bezog sich auf die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die 1975 in der finnischen Hauptstadt stattfand. Hier interessierte Muntadas die Rolle der DolmetscherInnen, die zwar immer unsichtbar bleiben, aber Funktionen haben, deren weit reichende Konsequenzen oft unterschätzt werden. Das Phänomen tritt bei allen internationalen Großveranstaltungen auf. Bei der Installation „On Translation: The Games“ sind in einer überdimensionierten Dolmetscherkabine Videos von Interviews mit den berufsmäßigen Übersetzern bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta zu sehen. Ihre Antworten sind in Vietnamesisch zu hören. Über angebrachte Kopfhörer gibt’s die englische Übersetzung. Verstehen durch Sprache ist nicht leicht. Muntadas misstraut selbst dem Mythos der Völkerverbindung durch die olympische Idee.

Wie in einem sich immer weiter verästelnden Wurzelwerk befinden sich die meisten Projekte des Künstlers in einem Open-End-Stadium. Seit 1984 produziert er mit Marshall Reese die offene Videoarbeit „Political Advertisement“. Sie zeigt Wahlwerbespots US-Präsidentschaftskandidaten seit den 50er-Jahren. Mit jeder Wahl kommen neue hinzu. In einem abgetrennten Raum im Museum sind die inhaltsarmen, gnadenlos personenbezogen Machwerke zu sehen. Sie lassen schmunzeln, zeigen aber auch, wie sich Technik, Schnitt und Kampagnestil verändert haben. Auch das Internetprojekt „The File Room“ von 1994, mit dem Muntadas internationale Zensurfälle dokumentierte und die Begrifflichkeit von Zensur infrage stellte, ist im Netz immer noch quicklebendig. Die offene Datenbank existiert jenseits des Kunstbetriebs und entwickelt sich ständig weiter.

Eine neue Arbeit des Künstlers ist „On Translation: Die Sammlung“. Dieser Verästelungsansatz, den Muntadas in Dortmund entwickelte, befragt das Museum als Institution – anhand von drei Auflagenobjekten, die sich in der ständigen Sammlung am Ostwall befinden: Ewald Matarés Plastik „Die große liegende Kuh“ von 1929/30, Hans Arps „Demeter“ von 1960 und Joseph Beuys „Filzanzug“ von 1970. Weitere Standorte der Arbeiten wurden recherchiert, der jeweilige Umgang des Kunsttempels mit seiner multiplen Kunst analysiert und das Ergebnis zusammen mit je einem Zwillingswerk ausgestellt.

Eigentlich hat das Ausstellungskonzept in Dortmund noch eine imaginäre vierte Ebene. Sie müsste „On Translation: Die BesucherIn“ heißen, denn die persönliche Vermittlung, das heißt die Übersetzung der medienkritischen Ansätze von Muntadas in den Museumsbesucheralltag, gehört immanent dazu. Wie übersetzt sich das blutrote Eingangstransparent eigentlich dem sich unter ihm küssenden Paar? Einer der Kuratoren ist jeden Tag vor Ort, sie haben sich selbst einen großen Arbeitsraum installiert, quasi für Kunstvermittlung in residence. Im Grunde genommen sollte jeder Besucher via Führung durch das Museum geleitet werden, die einzelnen Arbeiten erschließen sich nicht so einfach, auch wenn Muntadas das gerne hätte. Er habe kein Problem damit, wenn jemand in der persönlichen Interpretation zu anderen Ergebnissen käme, sagte er zwar bei der Eröffnung, doch viele Besucher konnten dem Ausstellungskonzept, trotz zahlreicher Schrifttafeln und Wegweiserleporellos, kaum folgen. Inzwischen zeigt die Dauerpräsenz der Ausstellungsmacher Wirkung. Gerade das Nichtfachpublikum sei sehr aufgeschlossen, freut sich Iris Dressler. Das habe sie nicht erwartet. Allerdings habe sie die Führungen stark verkürzen müssen. Wenn alle 50 Projekte besprochen würden, seien die Besucher doch sehr erschöpft.

bis 13. Juli, Katalog 15 €