Bedauert, aber nicht entschuldigt

In einer hastig arrangierten PR-Aktion gibt der US-Präsident arabischen Sendern Interviews. Rumsfeld ist angezählt – er könnte Bushs Bauernopfer sein

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Es muss für George W. Bush eine Qual gewesen sein. Der US-Präsident, der wie kaum ein anderer seiner Vorgänger die Presse verabscheut und fürchtet, wurde vom Weißen Haus zu Interviews mit den arabischen Fernsehsendern al-Hurra und al-Arabija gedrängt. Mit ernster Miene sollte er in jeweils zehn Minuten das fast Unmögliche versuchen: mit Worten gegen die Macht jener Bilder von der Folter irakischer Gefangener durch US-Soldaten anzukämpfen, die in der arabischen Welt Wut und Empörung ausgelöst hatten. „Abstoßend“ nannte Bush die Vorfälle. „Das amerikanische Volk ist genauso schockiert wie die irakischen Bürger.“

Die Interviews sind Teil einer hastig organisierten Medienoffensive, mit der die US-Regierung in der arabischen Welt um Schadensbegrenzung bemüht ist. Auch Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice stellte sich auf drei arabischen TV-Kanälen den Fragen von Journalisten. Anders als Bush entschuldigte sie sich jedoch für die Vergehen. Ebenso wie der neue Chef der US-Gefängnisverwaltung im Irak, Geoffrey Miller. Als der Präsidentensprecher am Mittwoch gefragt wurde, warum sich Bush nicht entschuldigt habe, antwortete er: „Ich tue dies gerade für ihn.“

Diese Haltung überrascht nicht. Bush hat sich bislang für keine seiner Fehler, Lügen und Manipulationen in der Irakpolitik entschuldigt, da er, frei von Zweifeln, glaubt, keine begangen zu haben. Überdies muss das Weiße Haus alles versuchen, den Präsidenten vor einer persönlichen Verwicklung in den Skandal zu bewahren. Schließlich ist Wahlkampf und Herausforderer John Kerry haut Bush fast täglich „versagende Führungsstärke“ um die Ohren.

In allen Interviews und öffentlichen Äußerungen versuchen Regierungsmitglieder weiterhin den Eindruck zu erwecken, bei dem Skandal handele es sich um eine Serie von Einzelfällen. Dennoch lässt man sich die Tür zum Eingeständnis offen, dass dem Skandal möglicherweise systematische Versäumnisse und Verhörmethoden zugrunde liegen. Selbst Bush wirkte verunsichert. Die Folterbilder repräsentierten nur die Handlungen „weniger Leute“, die eingeleiteten Untersuchungen sollten jedoch aufklären, ob es sich möglicherweise um ein „systemweites“ Problem handle, sagte er.

Einen schwerwiegenden Fehler im System haben Meinungsmacher in den USA längst ausgemacht. Sie weisen darauf hin, dass die Regierung in ihrem Krieg gegen den Terror glaubte, die international anerkannten Standards bei der Behandlung von Gefangenen herunterschrauben oder gar außer Kraft setzen zu können. Unbekümmert ignorierte sie die Regeln der Genfer Konvention, von denen Pentagonchef Donald Rumsfeld meinte, sie seien für die neue Kriegsform überholt. Washington Post-Kolumnistin Anne Applebaum griff daher Rumsfeld scharf an. Er habe mit seiner arroganten Haltung erst eine „Atmosphäre“ geschaffen, die Misshandlungen ermögliche.

Dem Verteidigungsminister stehen schwere Tage bevor. Von der Kommandostruktur her trägt er letztlich die Verantwortung. Aus dem Kongress, wo er am Freitag aussagen soll, wird scharf geschossen, da er die Abgeordneten nicht rechtzeitig über den Skandal informiert hatte. Bush, der über die Folterfotos aus der Presse erfuhr, hat ihn laut Zeitungsberichten dafür gerügt, nicht von ihm persönlich über die Vorfälle unterrichtet worden zu sein. Trotz öffentlicher Maßregelung und offenkundigem Frust hält Bush jedoch weiter seine schützende Hand über ihn. Auch aus eigenem Interesse: Im Endspurt des Wahlkampfes birgt eine Entlassung zu viele Risiken und böte eine weitere Steilvorlage für die Opposition. Doch Rumsfeld ist angezählt. Vielleicht ist es auch nur eine Frage der Zeit, sollten neue Details des Skandals auftauchen. Dann könnte sich Bush zu einem Bauernopfer gezwungen sehen.

Der Druck auf Rumsfeld wächst auch, nachdem neue Bilder in der Washington Post veröffentlicht wurden. Sie zeigen US-Soldaten, die Gefangene in irakischen Gefängnissen quälen und erniedrigen. Es handle sich um Aufnahmen aus insgesamt rund 1.000 Digitalfotos, die derzeit unter US-Militärpolizisten in Irak kursierten. Ein Bild zeigt eine Soldatin, die einen sich am Boden krümmenden nackten Gefangenen an einer Leine hält. Auf einem anderen Foto ist ein nackter Häftling zu sehen, dem eine Damen-Unterhose über den Kopf gestülpt wurde, während er an ein Metallbett gefesselt ist. Die Aufnahmen seien offenbar einer Sammlung aus Erinnerungsfotos entnommen, berichtet das Blatt. Sie wurden von Soldaten mit Digitalkameras aufgenommen, auf CDs gebrannt und kursierten unter Soldaten einer Militärpolizei-Einheit, deren Heimatbasis sich im Bundesstaat Maryland befindet. Ermittlungsbehörden haben sie beschlagnahmt.