Kalte Korallen kahl rasiert

WWF: Nord- und Ostsee haben sich auch nach diversen Meeresschutzabkommen nicht erholt – im Gegenteil

taz ■ Verschmutzung und Überfischung machen der Nord- und Ostsee trotz zahlreicher europäischer Meeresschutzabkommen der letzten 30 Jahre mehr denn je zu schaffen: „Der Patient ist immer noch krank“, sagte gestern der WWF-Referent für internationalen Meeresschutz, Stephan Lutter. Die Umweltstiftung WWF fordert wirksame Maßnahmen zum Meeresschutz.

Gemäß den Themen der internationalen Umweltministerkonferenz, die ab morgen in Bremen tagt, hat der WWF sein Augenmerk vor allem auf die Schifffahrt, den Schutz von Arten und Lebensräumen und die Fischerei gerichtet. Der WWF fordert, dass ein Netz von Meeresschutzgebieten ausgewiesen wird. Zur Erholung der Fischbestände müsste etwa für den Nordsee-Kabeljau ein zehnjähriges Fangverbot erlassen werden, sagte die WWF-Referentin für Fischerei, Heike Vesper. Weltweit seien 70 Prozent der Bestände überfischt, das gelte auch für Nord- und Ostsee. Ein zusätzliches Problem sei der so genannte „Beifang“: Allein in der Nordsee würden jedes Jahr etwa 150.000 Tonnen nicht vermarktungsfähiger Fisch zurück ins Meer geworfen, über 7.500 Schweinswale seien ebenfalls in der Nordsee auf diese Weise getötet worden. Weltweit würden so im Jahr 100 Millionen Haie und 300.000 Wale und Delfine sterben, listete Vesper auf.

Auch die Art der Fischerei sei problematisch: Vor allem durch die Bodenfischerei mit tonnenschweren Schleppnetzen würden große Flächen des Nordseebodens bis zu 20 Mal im Jahr „umgepflügt“, erläuterte sie. Außerdem würden 4.500 Jahre alte, sehr fragile Kaltwasserkorallen zerstört. Diese böten, solange sie intakt seien, bis zu 800 Fischarten und Wirbellosen einen Lebensraum, erklärte Vesper. Kaltwasserkorallen wachsen etwa einen Zentimeter im Jahr.

WWF-Schifffahrtsexperte Jochen Lamp forderte für schwierige Fahrwasser wie die Kadettrinne, die dänische Belte oder den finnischen Meerbusen die Einführung einer Lotsenpflicht, satellitengestützte Verkehrsmelde- und Lenksysteme sowie ein vorgezogenes Fahrverbot für einwandige Öltanker. Außerdem fehle eine Eisklassifizierungspflicht: „Im letzten Winter waren Tanker mit einer Zulassung für 30 Zentimeter dickes Eis im Nordatlantik in 70 Zentimeter festem Eis unterwegs“, erklärte er. Der WWF stützt seine Forderungen auf eine gestern vorgelegte Studie zum Zustand von Nord- und Ostsee.

Im Vorfeld der Umweltministerkonferenz teilte die „Aktionskonferenz Nordsee“ mit, dass offenbar die neue britische Umweltministerin Margaret Beckett radioaktive Einleitungen durch die Aufbereitungsanlage Sellafield ins Meer hat stoppen lassen. ube