Kommando Himmelfahrt

Der Star ist der Kurator: Der designierte documenta-Chef Roger M. Buergel betreut das Langzeitprojekt „Die Regierung“ im Kunstraum der Uni Lüneburg

Kulturwissenschaft ist ein Schwerpunkt an der Uni Lüneburg. Ihr Ausstellungsraum findet sich aber ganz am Rande des Campus: In einem Flachbau an der Außengrenze des umgewidmeten Kasernengeländes bilden ein großer und zwei kleine Säle den 1993 gegründeten Kunstraum. Aktuell läuft dort Die Regierung, ein universitäres Langzeitprojekt, das Seminare, Symposien und von Studenten entwickelte Ausstellungen kombiniert. Obwohl mit einigem Aufwand in internationaler Kooperation organisiert und von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt, gilt ihm überwältigende Aufmerksamkeit erst, seit sein Leiter Roger M. Buergel zum Chef-Kurator der documenta 12 benannt wurde.

Wenn Buergel dies selbst nicht ohne Ironie bei der Eröffnung so formuliert, vor Studenten, Künstlern, Sammlern, Journalisten und quengelnden Babys, dort am Rande eines Campus am Rande einer Stadt, die nicht gerade eine europäische Metropole ist, wird klar, dass die brennenden Fragen der Kunst sich heute dem Schema von Zentrum und Peripherie entziehen. Und die Ausstellung zeigt dann, dass noch so theoretische Diskurse über die Strukturen der Macht sich nicht so sehr auf internationalen Mammut-Plattformen zur plausiblen Argumentation verdichten, sondern dass dies in einer sensiblen Kombination künstlerischer Einzelaussagen viel besser gelingt. In fünf Positionen, vor allem aber im modellhaft inszenierten Metatext der Ausstellung werden die Verhältnisse zum Tanzen gebracht und Bilder gesetzt, die im Stande sind, Foucaultsche Thesen sinnlich erfahrbar zu machen.

Weit gespannt der historische Bogen: Der älteste Teilnehmer der Schau, Ambrogio Lorenzetti, ist schon 1348 gestorben. Aber warum seine mustergültig künstlerischen Formulierungen so schwieriger Abstrakta wie „gute Regierung“ und „schlechte Regierung“ fortlassen, nur weil sie Fresken im Rathaus von Siena sind und schon 666 Jahre alt? Ihr Bildgedanke, dass bei einer guten Regierung die Frauen auf dem Marktplatz tanzen, öffnet einen bemerkenswerten Kontext für das 2003 erstellte Video von Danica Dakic: Bosnier tanzen im deutschen Exil einen traditionellen Tauben Tanz, eine Choreographie ohne Musik, nur zum Schlagen der Absätze und Befehlen der Führerin: Tanz als eine zwischen Selbst- und Fremdbestimmtheit oszillierende soziale Aktivität bestimmt so die beiden kleineren Lüneburger Kunsträume. Die drei Arbeiten im großen Saal sind hingegen als visuelle Abhandlung über die Verflüssigung fester Strukturen zu lesen.

So definiert Simon Wachsmuth in Greenhouses mittels in schwarzem Wachsgrund gekratzten Linien die naturdominierenden Konstruktionen niederländischer Gewächshäuser und stellt diesem strikten Modell ein Video eines stetig frei fließenden Flusses gegenüber. Die drei großen Bildtafeln von Dierk Schmidt aus den 90er-Jahren sind zwar autonome Malerei, formulieren durch die mitgemalten Titel aber Imperative, die sich assoziativ in einen Diskurs über Regierungsformen fügen: Denk alles!, Ohne Titel und Lauf weg!

Doch zuviel derartig verflüssigter Dynamik führt zu brodelnder Desorientierung: Maja Bajevics 2001 erstelltes Video Double Bubble lässt die Schizophrenien ahnen, die aus dem Wunsch entstehen, das eigene Begehren wieder einer unbedingten Autorität unterzuordnen. Dabei unterlegt sie Bildern einer Frau religiös irregeleiteten männlichen Aussagen – etwa:„Weil ich nicht mit Frauen verkehren darf, schlafe ich eben mit Männern.“

Diese Ausstellung gibt guten Einblick in die Arbeit des Kunstraums der Universität Lüneburg. Und sie erfüllt die Forderung Roger M. Buergels, Ausstellungen zu einem eigenen Medium zu machen: Für die in drei Jahren beginnende documenta 12 verheißt das nur Gutes. Hajo Schiff

„Die Regierung, Teil III“: Di–Do 16–20, Sa+So 14–18 Uhr, Kunstraum der Universität Lüneburg; bis 20. Mai