Es fällt kein Mozart vom Himmel

„Was ist so besonderes an den Gehirnen von Musikern?“ wollte der Züricher Neuropsychologe Jäncke wissen und legte einzelne besondere Exemplare - ab Tagesgabe von 3000 Euro - in den Kernspin-Tomographen

Das kleine Wunderkind Johannes Chrysostomus Theophilus Mozart bietet bis heute meist Anlass, sich über „Wunder“ zu verbreiten und die „Unerklärlichkeit dieses „Genies“, das seinen Zeitgenossen so hässlich überheblich gegenübertrat und doch von Kindesbeinen „nichts als Musik im Kopf“ hatte. Der Züricher Neuropsychologe Lutz Jäncke hat in einem Vortrag vor Bremer Gehirnforschern eine ernüchternde Interpretation des Genies vorgetragen: „Es fält kein Mozart vom Himmel“, fasste er das Ergebnis seiner Forschungen zusammen. Nicht, dass er das Gehirn des Musikers seziert hätte - Jäncke beschäftigt sich allgemein mit dem Gehirn von Musikern. Von solchen, die sich wie Mozart in ihrer Kindheit Stunde um Stunde mit den Verrichtungen der Musik quälen müssen. „Was ist so besonderes an den Gehirnen von Musikern?“ war seine Frage. Und sie gab dem Gehirnforscher die Chance, sich nicht immer nur mit Krankheitssymptomen im menschlichen Gehirn zu befassen.

Wie seine Schwester Nannerl wurde das „Wolferl“ den ganzen Tag am Klavier getriezt, fasste Jäncke den biografischen Befund zusammen. Musste dazu Geige spielen, die Schwester auch singen. Die Intensität des Trainings durch den Vater, der mit Musik sein Geld verdiente, hätte heute den Kinderschutzbund auf den Plan gerufen. Offensichtlich wollte der Vater Geld mit seinen Kindern verdienen, hinter dem musikalischen Drill steckte auch eine Geschäftsidee.

Jäncke interessiert sich für die „Plastizität des menschlichen Gehirns“, also die insbesondere in den Wachstumsjahren vorhandene Fähigkeit des Gehirns, sich Anforderungen anzupassen. Schon früher hatten Untersuchungen ergeben: Die besten Absolventen der Berliner Akademie für Musik haben wie der kleine Mozart mit dem musikalischen Training angefangen und als 18-Jährige schon an die 8.000 Übungsstunden hinter sich. Musik-Studenten, die „nur“ 3.500 Stunden hinter sich haben, haben keine Chance. Die Korrelation ist so eindeutig, berichtete Jäncke, dass man sagen kann: Kein „Genie“ kann das wahnsinnige Training ersetzen. Das Gehirn reagiert nicht auf „Genie“, sondern auf Training. Und wie reagiert das Gehirn? Jäncke hat unter dem Kernspinn-Tomografen das Gehirn von professionellen Musiker untersucht, die es zu Weltruhm gebracht haben. Da wo im „planum temporalis“ eine Linksdominanz bei Rechtshändern festgestellt wird, zeigt das Gehirn von Profi-Musikern ein ausgeglichenes Bild. Auf deutsch: Die Repräsentanz der linken Hand ist im Musiker-Gehirn so stark wie die der rechten bei „normalen Menschen“, die Repräsentanz der rechten Hand etwas größer. Fast banal: Je früher und je intensiver das Hand-Training beim Musiker beginnt, desto stärker der Effekt. Jäncke unterscheidet zwei Altersphasen, die erste geht bis zum 7. Lebensjahr, die zweite bis zum Zwölften. Was danach kommt, ist Rest. Diese Entwicklung des Gehirns erklärt für Jäncke auch die Fähigkeit des „Reverse-Piano“-Spielens, da wird mit der einen Hand eine Bewegung ausgeführt, die für die anderen Hand gelernt wurde. Es gibt das Phänomen einer „gelernte Symmetrie“.

Bei Musikern mit absolutem Gehör hat Jäncke einen überraschenden Zusammenhang entdeckt: Beim Ton-Identifizieren sind dieselben Gehirn-Regionen aktiv, die der Mensch für die Sprache benutzt. „Absolut hörende Musiker verarbeiten Töne mit sprachnahen neuronalen Zentren“, sagt Jäncke. Nicht die Anatomie der Spitzenmusiker ist anders, sondern die Neurone sind „funktional spezifiziert“ – durch das Training.

Die alte Erkenntnis von Charles Darwin: „Musik stimuliert das Gehirn“ gilt in geringerem Umfang auch für das Erwachsenen-Gehirn, sagt Jäncke. Seine Erkenntnisse haben ihn nicht entmutigt, im Erwachsenen-Alter noch mit dem Klavier-Training zu beginnen. Dass er es nicht mehr so weit bringen werde, dass der Chopin wirklich Spaß macht, dass räumte der Gehirn-Spezialist freimütig ein. Auch nicht mehr erreichbar sind die Effekte, die er studiert hat, wenn ein Profi-Musiker eine Partitur „liest“: Während sich im Normalgehirn nicht viel tut, sei im Musiker-Gehirn da „irre was los“, schwärmte Jäncke, das ganze Gehirn sei in Aktivität, „der Praecunius leuchtet auf“. kawe