Nazigall, ick hör dir trapsen

Muttertag in Berlin: Während in der Ankerklause am Landserkanal wie immer 400 Rechtsradikale über ihrem Kaffee brüten, schlagen die Autonomen Kleinkinder zurück

Auch Nazis weinen salzige Tränen und fühlen wie du den Schmerz

Auf dem Männerklo in der Ankerklause fallen die schwarzgelben Aufkleber an den Kacheln stark ins Auge: „Tegen Nazis!“

„Tegen Nazis“? Bestimmt müssen wir bald mit noch ganz anderen Parolen rechnen: „Tomtaft, nein danke!“ – „Macht putt, was euch putt macht!“ – „Tumverteilung tezt!“ – „Lete für lalle!“ – „Muttertach, putter Tach!“ Offenbar macht hier eine völlig neue linke Gruppierung dem träge gewordenen Antifa-Establishment richtig Beine: die Autonomen Kleinkinder, die AoK.

Ganz schön verwegen, die kleinen Racker: während in diesem vorgeblichen Szenetreff am Landserkanal wie so häufig 400 Rechtsradikale bei braunem Milchkaffee auf der Terrasse tagen, ist es den tapferen Aktivisten von der AoK ein klammheimlicher Reichsparteitag, zur selben Zeit direkt hinter dem Rücken der Faschos ihr hochbrisantes Agitationsmaterial zu verbreiten. Einer krabbelt vor der Klotür Schmiere und weint laut, wenn jemand kommt. Die anderen lassen sich von ihren ahnungslosen Eltern hochheben, um die Aufkleber über den Pissbecken in Augenhöhe erwachsener Männer zu platzieren. Das ist harte Kinderarbeit. Immerhin hätten sie sich ja stattdessen auch im Buggy nach Lichtenberg schieben lassen können, um dort in der „Germanenklause bei Wotan und Moni“ Spuckis an die Wände zu klatschen.

Aber das wäre ja kein Kick, da ist doch kaum jemand drin und außerdem interessiert es die Gäste dort gar nicht: Das sind nämlich alles Nazis. Die möchten so was beim besten Willen nicht lesen über sich, und irgendwo muss man dafür auch Verständnis haben. Das beleidigt die doch, das tut denen weh – Nazis sind schließlich auch nur Menschen, auch Nazis weinen salzige Tränen und fühlen wie du den Schmerz, wenngleich dein Schmerz ihnen hundertmal lieber ist.

Aber hier in der Ankerklause ist genau der richtige Ort, hier mischen sich immer wieder Linke, Bürgerliche und Konsumfreaks unter die mit Trainingsjacken bekleideten Glatzenhorden, gehen nach zehn Bier das erste mal aufs Klo und lesen „Tegen Nazis!“ – „Schschdümmd“, erinnern sie sich dann, „ttegn Nassiss – ffeinne Sssache ddass!“ Immer wieder kleine Nadelstiche setzen, nie nachlassen in der fortwährenden Aktivierung und Reaktivierung des eigenen Potenzials – das ist der wichtige Remember-Effekt: Remember 1933! Remember Hiroshima! rRmember Muttertach!

Muttertach ist doch bestimmt auch so eine Erfindung der Nazis, also ein Tag ganz im Sinne von Wotan und Moni: Mutterkreuz, Muttermal, Muttertach – Nazigall, ick hör dir trapsen! Politisch korrekt bin ich mit meiner Mutter deshalb schon lange übereingekommen, dass wir diesen Tag nicht anders begehen als jeden anderen seit 1933 – also remember zwar, aber ohne großes Gedöns. Keine Blumen, kein Anruf, keine Gewalt. So behalten wir das große Ganze im Auge und sparen unsere Kräfte für wirklich bedeutende Dinge – tegen Nazis. ULI HANNEMANN