Geschlechtermatrix Reloaded

Wie der erfahrene Playboy Gunter Sachs beim Flirten einmal auf Granit biss

Kitty trug eine Kaktusfrisur und närrische Metallpocken im Gesicht

Er sah aus wie Gunter Sachs und redete und roch auch so, der überreife, von teuersten Herrendüften umwehte Playboy, der sich kürzlich hinter meinem Rücken, einen halben Meter Luftlinie entfernt, im „Café Kranzler“ niedergelassen hatte, um einer jungen Dame schönzutun.

„Excusez, Mademoiselle“, fing er an und saß schon bald darauf sehr dicht an ihrer Seite, plaudernd, scherzend und Eierlikör spendierend. Ich wechselte unauffällig den Sitzplatz, um das Pärchen, das sich da bildete, besser im Blick zu haben.

Mit ihrer Kaktusfrisur und den närrischen Metallpocken im Gesicht wirkte die bepirschte Dame deplatziert. Ihre Heimat war ein Plastikstuhl im autonomen Genderforum des antipatriarchalen Netzbüros des Arbeitskreises „Café Morgenrot“ des Archivs der Evangelischen Studentengemeinde Kassel, aber nicht das „Kranzler“. Den Likör ließ sie sich erstaunlicherweise schmecken, nannte auch freiwillig ihren Vornamen – Kitty – und verhehlte nicht, dass sie an einer „Diss“ zum Thema „Geschlechtliche Aneignung als Gegensubjektivierung“ arbeite*. „Geschlechtliche Aneignung, das klingt interessant“, sagte Sachs und brachte zwei Sekunden lang seine Zungenspitze zum Vorschein. „Erzählen Sie mir mehr darüber.“

Welches Fass er damit angestochen hatte, ging dem alten Schürzenjäger erst auf, als es zu spät war. Wie ein Wasserfall quasselte Mademoiselle Kitty drauflos und haute Sachs Begriffe wie „Zweigeschlechtlichkeit“, „Normierungsprozess“, „Aneignung einer neuen Geschlechtsposition“, „die beiden Pole hegemonialer Geschlechtlichkeit“ und „ein Bündel von Alltagspraxen“ um die Ohren. Alltagspraxen? Hatte sie Arztpraxen gemeint?

„Lachen und Weinen, Erleben und Vorstellen sind daher je schon vergeschlechtlicht, bevor wir auf sie reflektieren“, dozierte Kitty, berichtigte mit geübtem Griff den Sitz ihrer glitzernden Nasenlochpieker und fuhr erbarmungslos fort: „Ziel dieser Überlegungen ist es, eine Richtung aufzuweisen, in die eine Politik gehen sollte, die ein binäres Geschlechtersystem hinter sich lassen will … Die Praktiken des Geschlechts werden weder bewusst noch unbewusst eingesetzt, vielmehr sind sie in den Körper als Fertigkeit eingeschrieben, sind sie Teil eines körperlichen Wissens – des Habitus.“

„Aha“, sagte Sachs. Praktiken des Geschlechts, mit sowas kannte er sich aus, und doch war seiner Miene abzulesen, dass er darüber rätselte, wovon zum Teufel dieses redselige Mädchen eigentlich schwafelte.

„Was kann es heißen, sich seinen eigenen Körper anzueignen?“, fragte Kitty, rein rhetorisch, denn sie schien nicht zu erwarten, dass der zugelaberte alte Mann sie mit einer Antwort unterbrach. Doch er tat es.

„Das weiß ich zufällig. Ich hatte einmal einen kleinen Unfall beim Skifahren in der Nähe von Winterthur. Knöchelbruch. Keine große Sache, aber hinterher musste ich wieder laufen lernen wie ein kleines Kind. Ist schon ein paar Jährchen her. Wann war das noch? 71? Könnte auch 72 gewesen sein. Jedenfalls musste ich einige Zeit im Hospital verbringen, in Zürich. Erstklassige Ärzte und Krankenschwestern. Zu meiner Genugtuung entpuppte sich die Raucherecke in meiner Station als Tummelplatz für allerlei lichtscheue Nachtvögel. Was glauben Sie, wen ich da eines Abends beim Genuss einer eingeschmuggelten Flasche Veuve Cliquot begegnet bin?“

Kitty schwieg. Sie sah nicht so aus, als ob sie von der Wendung, die das Gespräch genommen hatte, sonderlich entzückt sei. „Walter Scheel“, sagte Sachs und setzte eine Hundertschaft seiner Lachfältchen in Betrieb, um Kitty zu signalisieren, dass jetzt die Pointe komme. „Und wie hieß das durchaus nicht unangezwitscherte Fräulein, das auf Scheels Schoß saß? Das raten Sie nie.“

In der Stille, die folgte, kostete der verträumt ins Spiegelkabinett seiner süßesten Erinnerungen blickende Gunter Sachs ein letztes Mal das Raffinement seiner Erzählkunst aus …

Kitty holte ihn zurück auf den Boden der Tatsachen: „Was, wenn die Aneignung meines Körpers letztlich ein politischer Einsatz ist?“

Diese unerwartete Gegenfrage traf Gunter Sachs wie ein Keulenschlag. Kitty hatte damit nicht allein ihr Desinteresse am Namen des Fräuleins auf dem Schoß des sektseligsten aller deutschen Bundespräsidenten bekundet, sondern auch eine vielfach erprobte und bewährte Baggertaktik unterlaufen und überdies abermals eine Frage in den Raum gestellt, die nur dem Scheine nach der diskursiven Anbahnung eines soliden Geschlechtsverkehrs diente und im Grunde nichts weiter war als Gegacker.

Gequält wechselte Sachs in wärmeres Fahrwasser hinüber und gab eine kleine Anekdote zum besten, in der ein Aufzug, ein Kehrblech, drei Herren aus dem Orient und eine Lady aus der Wiesbadener High Society vorkamen. Kitty sah ihn daraufhin kalt an und sagte: „Die herrschende Geschlechtermatrix kann genauso wenig in ihren eigenen Begriffen überwunden werden wie etwa eine rassistische Migrationspolitik.“

Geschlechtermatrix? Gunter Sachs war anzusehen, dass er diese Vokabel noch nie gehört hatte und auch nie wieder zu hören wünschte. Er unternahm aber noch einen letzten irrwitzigen Versuch, die verbiesterte junge Dame zu betören. „Ein Freund von mir besitzt eine Villa in Dahlem, die momentan verwaist ist, weil er sich auf eine Safari nach Südafrika begeben hat. Wären Ihnen drei Ferientage in einem Anwesen mit Sauna, Whirlpool und Partykeller genehm? Ich könnte Ihnen Brüderschaftscocktails mit Wolfgang Niedecken, Udo Lindenberg und Thomas Gottschalk garantieren. Wie wär’s?“

Kitty stand auf und stieg in meiner Achtung, als sie dem Schönling zum Abschied zwei Dinge erläuterte: „Zum einen, dass die Aneignung einer neuen Geschlechtsposition auf intime Weise mit dem verstrickt ist, was unserem Körper als Habitus eigen ist, und dass eine solche Geschlechtsposition nur dann erfolgreich angeeignet werden kann, wenn sie es schafft, eine eigene sprachliche Repräsentation zu etablieren.“ Sprach’s und verließ das „Kranzler“.

Am Nebentisch ging Gunter Sachs kurz in sich und bestellte dann gelassen einen Milchkaffee. Die Abfuhr nahm er hin wie ein Mann. Ohne mit der Wimper zu zucken. Alle Achtung.

GERHARD HENSCHEL

* Alle Zitate von Kitty entstammen dem Artikel „Undoing Gender. Geschlechtliche Aneignung als Gegensubjektivierung“ von S. Kitty Herrmann, erschienen in buko, Zeitung der Bundeskoordination Internationalismus zum buko-Kongress, 20.–23. Mai 2004 in Kassel