Ich fühle mich geohrfeigt!

betr.: „Die Nation seufzt – und faulenzt“, Kommentar von Ralph Bollmann, taz vom 19. 6. 03

Abgesehen von einigen Körnchen Wahrheit empfinde ich die Haltung Ihres Kommentators als sehr ignorant und uninformiert. Als allein erziehende, berufstätige Mutter mit dem Familienbackground eines mittleren Handwerkbetriebes – und als praktizierende Christin – fühle ich mich geohrfeigt! […] Ich frage mich, welche Art von Arbeit (Zeitaufwand, familiäre Situation) Ihr Leben bestimmt. Ich bitte Sie, einmal mit wachen Augen und Sensibilität durch ein Dorf oder eine Kleinstadt zu gehen, in verschiedenen Arbeitsbereichen (Industriebetrieb, Handwerksbetrieb, Kaufhaus, Krankenhaus, Schule, Kindergarten, Altersheim …) ein Praktikum zu machen – bevor Sie so verletzende Äußerungen aufs Papier „klatschen“.

Darüber hinaus gibt es Christen, die die Feiertage nicht „zur Erinnerung an abendländische Traditionen“ feiern, sondern die diese Feiertage (und dazu auch die Sonntage – die Sie ja sonst gleich mit abschaffen können) leben und feiern.

Gern hätte ich diesen Leserbrief noch sauber getippt – aber ich habe keine Zeit mehr: Wäsche waschen, Küche aufräumen, Arbeit für morgen vorbereiten – und vielleicht noch 15 Minuten lesen, das ist mein Feierabend (und der vieler anderer Menschen in unserem Land). CHRISTINE OLDEMEYER, Melle-Buer

Die meisten offiziellen Feiertage haben wir hier in Japan. Dafür nehmen die Leute aber kaum Urlaub und machen Überstunden zur Regelarbeitszeit. Das wiederum wird zum Beispiel in all den vielen Besprechungen kompensiert, in denen die Hälfte schläft. Alle arbeiten wie verrückt, aber das Land kommt kaum aus der Stagnation raus.

Könnten wir in Deutschland nicht endlich mal mehr von den Fehlern anderer lernen? GÖTZ KLUGE, Tokio, Japan

Da die Vorschläge Clements keine Zeile wert sind, muss man sich fragen, wovon er ablenken will, welche Katastrophen vor allem auf die sozial Schwächeren noch zukommen werden, die man einstweilen hinter dieser überflüssigen Debatte verbirgt.

Ulrike Herrmann hat es vor einiger Zeit in der taz gesagt, dass diese Regierung es nicht wahrhaben will, dass die hohe Arbeitslosenzahl strukturell bedingt ist. Die Konsequenz wäre, jeder arbeitet weniger – bei niedrigerem Einkommen –, so dass mehr Menschen am Arbeitsprozess und somit an einem Einkommen teilhaben könnten. Stattdessen wird das Gegenteil verkündet: Die, die Arbeit haben, sollen noch länger arbeiten, und die, die keine haben, sollen noch intensiver in die Röhre der Armut gucken. […]

KLAUS BAUM, Kassel

Offensichtlich fällt Minister Clement nichts mehr ein! Die Feiertagsdebatte ist grotesk: Andere Länder wie Großbritannien haben ebenfalls neun bis zehn Feiertage. Dort gibt es sogar die arbeitnehmerfreundliche Regelung, dass Feiertage, die auf das Wochenende fallen am folgenden Montag abgefeiert werden. Damit ist die Zahl der arbeitsfreien Tage über die Jahre konstant und nicht – wie in Deutschland – variabel. […]

THOMAS SCHULZ, Göttingen

Es macht viel Sinn, zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums die Anzahl der Feiertage zumindest auf das international übliche Maß zu reduzieren, wofür ja sogar laut Umfrage die meisten Deutschen sind. Jedoch sollte nicht nur die Quantität, sondern zugleich auch die Qualität verändert, verbessert werden.

[…] Deutschland ist kein christlicher, sondern ausdrücklich ein „weltanschauungsneutraler“ Staat. Dennoch werden höchst ungerechterweise von den zirka 4.000 – religiösen wie nichtreligiösen – Weltanschauungen vom Staat her nur der christlichen Religion arbeitsfreie Feiertage zugestanden, was gemäß Grundgesetzartikel 4 verfassungswidrig und nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention menschenrechtswidrig ist, welche jegliche Bevorzugung oder Benachteiligung irgendeiner Weltanschauung strikt untersagen! […] Sinnvoll wäre aber zum Beispiel ein gemeinsamer Feiertag für alle Weltanschauungen zusammen, an dem die Wichtigkeit und die gleichberechtigte Vielfalt der Weltanschauungen bedacht, ausdrücklich bejaht und gefeiert werden können. […] REINER MOYSICH, Karlsruhe

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