DIE TÜRKISCHE AUSSENPOLITIK HAT EINEN KURSWECHSEL VOLLZOGEN
: Erdogan sammelt Pluspunkte

Die türkische Außenpolitik ist auf einem neuen Kurs. Wer befürchtet hatte, die konstruktive türkische Rolle bei dem Versuch, den Annan-Plan auf Zypern umzusetzen, sei eine einmalige Abweichung von der früheren Politik der Stärke gewesen, sah sich gestern positiv überrascht. Statt nach dem griechischen Nein auf Zypern darauf zu beharren, dass nun Griechenland und die internationale Gemeinschaft am Zug seien, um die Isolation Nordzyperns aufzuheben, ging der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan demonstrativ auf Athen zu. Damit setzt er seinen griechischen Kollegen Karamanlis stärker unter Druck, als wenn er im alten Stil von Ankara aus die Faust geschüttelt hätte.

Neben Erdogans Zukunftsgewandtheit sah Karamanlis mit seinem Beharren auf dem griechischen Rechtsanspruch, das gesamte Zypern zu vertreten, sehr alt aus. Das dürften sowohl Brüssel als auch Washington registriert haben. So sammelt Erdogan Pluspunkte für sein großes Ziel, Ende des Jahres von der EU grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen zu bekommen. Als erster türkischer Regierungschef hat er verstanden, dass die Türkei nicht nur ein Recht darauf hat, wie es früher in Ankara hieß, sondern dass kluge Politik darin besteht, es den anderen unmöglich zu machen, ein Recht zu verwehren.

Das wird auch auf Zypern Früchte tragen. Die USA haben signalisiert, dass sie die Isolierung Nordzyperns beenden werden. Auch in der EU werden sich die griechischen Zyprioten mit ihrer nationalistischen, kompromissunfähigen Politik auf Dauer keinen Dienst erweisen. Was in der Türkei vor zwei Jahren als eine Politik begann, die lediglich auf äußeren Druck zu Konzessionen notgedrungen bereit war, hat sich zu einem außenpolitischen Paradigmenwechsel entwickelt. Wo früher lediglich auf das vermeintlich eigene Recht gepocht wurde, wird nun erfolgsorientierte Politik gemacht. Das erste Beispiel dafür war nicht Zypern, sondern die türkische Politik gegenüber den USA im Irak. Mit Flexibilität und etwas Glück haben Erdogan und sein Außenminister Gül es geschafft, die Türkei aus dem Krieg herauszuhalten und die Beziehung zu Washington trotzdem positiv zu entwickeln. JÜRGEN GOTTSCHLICH