EU-RECHNUNGSPRÜFER GEHT: VERNICHTENDES URTEIL FÜR KOMMISSION
: Denken stört beim Kungeln

Durch Loyalität nach außen und kritische Offenheit innerhalb des Apparats hat sich der oberste Finanzkontrolleur der EU-Kommission einen Namen gemacht. Nun hat Jules Muis nach knapp zwei Jahren im Amt für April 2004 seinen Rückzug angekündigt, obwohl er eigentlich fünf Jahre in Brüssel bleiben wollte. Kritische unabhängige Mitarbeiter, so scheint es, sind in der EU-Bürokratie unerwünscht.

Im Mai 2002 hatte der ehemalige Weltbank-Kontrolleur in einem internen Schreiben an den für Reformen zuständigen Kommissar Neil Kinnock ein vernichtendes Urteil über die EU-Kommission gefällt: Das Buchungssystem sei unzuverlässig. Die Mitarbeiter hätten weder die Ausbildung noch die Motivation, um eine gründliche Reform mitzutragen. Der drastisch formulierte Text, den Muis für den internen Gebrauch geschrieben hatte, war im März Journalisten zugespielt worden. Seither bekam er wohl selbst das Klima zu spüren, das er in seinem Brief beschreibt: ein feindliches Arbeitsumfeld, in dem Kritiker unerwünscht sind und gemobbt werden. Wenig später machte sich Muis wieder unbeliebt. In einem Memo behauptete er, die Kommission stelle das Buchhaltungssystem gegen besseres Wissen als zuverlässig dar.

Damit schaffte er sich eine neue Feindin, denn für Bilanzen und Finanzkontrolle ist in letzter Instanz Haushaltskommissarin Michaele Schreyer zuständig. Dass sie kritische und selbstständig denkende Mitarbeiter nicht schätzt, hatte im Mai vergangenen Jahres bereits ihre oberste Buchhalterin Marta Andreasen zu spüren bekommen. Als sie, wie danach auch Muis, Zweifel an der Zuverlässigkeit des Buchungssystems anmeldete, wurde sie von Schreyer geschasst.

Jules Muis ist nun wohl zu dem Schluss gekommen, dass auch er bei den obersten Chefs der Kommission keine Rückendeckung hat. Kinnock redet fehlende Erfolge mit glatten Worten schön, Schreyer bügelt Kritiker mit schroffen Worten ab. Es gebe ein Leben nach der Kommission, schreibt Muis in seiner Kündigung. Das stimmt ganz sicher. Einen Arbeitgeber, der unabhängiges Denken zu schätzen weiß, findet er mit seiner Qualifikation allemal. DANIELA WEINGÄRTNER