Junkies reparieren sich clean

Das Kölner Drogenprojekt 180° eröffnet neben seiner Fahrradwerkstatt einen Laden. Heroinsüchtige lernen hier, ohne Drogen zu leben, die Nachbarn freuen sich über das breite Reparaturangebot

VON CLAUDIA LEHNEN

Wenn er den Schraubenzieher in die Hand nimmt, verschwindet die Rastlosigkeit aus seinem Blick, seine Füße stehen ganz ruhig neben dem Montageständer, seine Stirn durchzieht eine feine Querfalte. Gerade war Horst Schmitz noch hektisch von einem Bein auf das andere gewippt, seine Hände waren noch auf der Suche nach einer Aufgabe gewesen. Er hatte erzählt, dass er handwerklich geschickt sei. Und er hatte betont, dass das hier in der Fahrradwerkstatt „richtige Arbeit“ sei, kein Beschäftigungsprogramm. „Richtige Arbeit“, darauf legt der 30-Jährige großen Wert. Auch wenn er bis vor kurzem noch heroinabhängig war, auch wenn das hier ein Modellprojekt zur Integration von Drogenabhängigen ist, auch wenn er hier keinen staatlich anerkannten Beruf erlernt, sondern erst einmal das Arbeiten selbst.

Horst Schmitz ist einer der fünfzehn Mitarbeiter in der Zweiradwerkstatt 180°, ein Kooperationsprojekt der AIDS-Hilfe Köln und dem Internationalen Bund Köln. Seit eineinhalb Jahren werden in der Fahrradwerkstatt in Kalk Drogenabhängige beruflich weiterqualifiziert. Nun hat ein paar Meter weiter der Fahrradladen eröffnet, in dem reparierte Gebrauchträder verkauft werden. „Damit können wir jetzt auch einen Qualifizierungsplatz im Einzelhandel anbieten“, freut sich Projektleiter Bernhard Görtz. Außerdem könne durch den Radladen der Absatz der Produkte erhöht werden.

Durch das von den Ministerien für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes und der Stadt geförderte Projekt soll geprüft werden, ob Drogenabhängige fähig sind zu arbeiten, erklärt Michael Hagemann, Vertreter der AIDS-Hilfe. „Dabei kann das Projekt auch Abhängigen helfen, die schon einige Therapieversuche abgebrochen haben. Manche suchen eben eher nach praktischen Lösungen“, so Hagemann.

Anwohner reagierten durchweg positiv auf Laden und Werkstatt. „Die freuen sich, dass Kalk nicht völlig ausstirbt“, sagt Zweiradmechaniker Lars Dechau, bei 180° zuständig für den Laden und den Einkauf. Zur Beliebtheit bei den Kunden trägt auch ein Schild bei, das selten geworden ist in der Wegwerfgesellschaft. „Reparaturen aller Art“ steht da. Das bedeutet, dass im 180° auch Kinderwägen, uralte Fahrräder oder Klappsessel wieder instand gesetzt werden. „Letztens kam eine Nachbarin und bat: Jung, komm doch mal, mein Sessel ist kaputt“, berichtet Dechau. Viele wüssten gar nicht, dass es sich bei der Werkstatt um ein Drogenprojekt handle. Nur manchmal kämen skeptische Kunden: „Die fragen dann, ob sie bei uns geklaute Fahrräder kaufen.“

Bernd Müller (Name von der Redaktion geändert) bestätigt den Erfolg des Projektes. Nach zehn Monaten Zweiradwerkstatt arbeitet er nun seit Anfang des Jahres mit einem festen Arbeitsvertrag bei einer Firma für Reha-Technik. Er hat den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt geschafft und ist sichtlich stolz darauf. „Dort bin ich jetzt ganz alleine für die Hilfsmittel zuständig“, sagt er. Von den Drogen ist der 34-Jährige mittlerweile ganz losgekommen. „Ich kann mich um meine Familie kümmern, bin gerade zum ersten Mal in den Urlaub gefahren. Das war toll.“ Bernd ist glücklich. Und für einen wie Horst ein großes Vorbild. Wenn er mit seinen fahrigen Bewegungen mal wieder eine winzige Schraube nicht findet, dann denkt er an Bernd und weiß, dass er es schaffen kann.