unterm strich
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Noch mal Holocaust? Ist nicht längst alles bebildert, erzählt, gesehen? Nicht ganz. Wir haben uns an die immer gleichen Bilderschleifen der NS-Feature gewöhnt, die oft mit dramatisierendem Soundtrack kombiniert werden. Harun Farockis Dokumentation „Aufschub“ (heute Abend um 23.50 Uhr auf 3sat zu sehen) ist ein Kontrapunkt zu diesen Bilderfolgen. Sie zeigt, welche Erkenntnisse und Verdichtungen eine präzise Arbeit mit Bildern ermöglicht. Westerbork war ein Konzentrationslager in den Niederlanden. Hunderttausend Juden wurden von hier nach Auschwitz, Bergen Belsen und Treblinka deportiert. Es existiert ein Filmfragment über den Lageralltag, gedreht 1944 von einem Häftling im Auftrag der Lagerleitung. Dieser Film soll das Lager als Ort des Normalen zeigen. Farocki hat diese stummen Bilder neu montiert, mit Schriftinserts versehen, die den Kontext erläutern und die Bilder lesbar machen. Eine Szene kommt zweimal vor. Sie zeigt einen Zugtransport nach Auschwitz. Ein SS-Mann schließt die Tür des Güterwaggons. Die Tür hakt, eine Gefangener hilft, sie von innen zu schließen. Farocki sagt zu dieser Szene: „Diese Geste fasst das Drama des Lagers zusammen: die Kooperation der Opfer bei ihrer eigenen Vernichtung.“ „Aufschub“ ist ein Film, in dem man sehen lernen kann. STEFAN REINECKE