Männliche Normen infrage stellen

betr.: „Kluge Mütter wollen Arbeit“ von Heide Oestreich, taz vom 29. 4. 04

Es ist sicherlich dringend notwendig, die Nachteile von Mütterteilzeiterwerbstätigkeit zu benennen und Strategien im Sinne einer gerechten Verteilung zu entfalten. Es ist auch diskutierbar, ob der Vorrang von monetären Leistungen vor sachwertigen Leistungen in der Regel die bestehenden familiären Arbeitsteilungsmodelle begünstigt. Es gibt für mich allerdings auch wichtige Aspekte, die im öffentlichen Diskurs und in der politischen Debatte zu wenig oder gar nicht berücksichtigt werden.

Die so genannten objektiven Sozialdaten über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei bezahlter und unbezahlter Tätigkeit werden als wichtigste politische Erkenntnis gewertet. Diese Formen des akademischen Expertenwissens finden sich in den bevorzugten Modellen politischer Bewertung wieder, soweit sie auf rechtsorientierten Normen wie Objektivität, Rationalität und Universalität beruhen. Normatives Reflektieren im Sinne einer auf die Handelnden orientierenden, eingebundenen Kommunikation und Erörterung von fürsorglicher Praxis als einen Aspekt guten Lebens wird damit in der politischen Bewertung zur Marginalie. Ist es nicht so, dass die Vorstellung, dass ausschließlich bezahlte Arbeit eine Bedingung von Freiheit und Autonomie sei, eine fragwürdige Vorstellung von Freiheit ist, und schließt diese Vorstellung nicht die Möglichkeit aus, dass die soziale Praxis von Care selbst eine Form gesellschaftlicher Partizipation ist und damit eine Quelle für bedeutende moralische Werte und politische Überlegungen?

Vor diesem Hintergrund sind die Ursachen des Geburtenrückgangs genau zu untersuchen bzw. ob die Teilzeitquote per se „eine schlechte Nachricht ist“. Ist nicht der Wunsch nach Mütterteilzeittätigkeit oder nach Lebensmodellen, die nicht der Norm des aktiven Bürgers (die auf einer Idee der Unabhängigkeit und der so genannten normalen gesellschaftlichen Aktivitäten weißer Männer beruht) entsprechen, zu respektieren? Ist es nicht an der Zeit, generalisierte männliche Normen infrage zu stellen? Gerade als Entgegnung auf unsere patriarchale und turbokapitalistische Gesellschaft ist es notwenig, fürsorgliche Praxis und „mütterliches“ Denken […] – über Geschlechtergrenzen hinweg! – als lebenswichtig anzuerkennen und als einen bedeutsamen Bestandteil des Handelns zu integrieren.

ANKE PIOTROWSKI, Kassel