„Wir wollen nicht die Führer sein“

Fausto Bertinotti, Chef der neuen Europäischen Linken, über die Haltung der Kommunisten zu Globalisierungskritikern

taz: Herr Bertinotti, wen repräsentiert Ihre „Rifondazione Comunista“?

Fausto Bertinotti: Unsere Wählerschaft rekrutiert sich aus zwei Quellen. Einerseits ziehen wir die an, die in der Tradition der kommunistischen Bewegung Italiens stehen, andererseits sind wir stark in den globalisierungskritischen Bewegungen aktiv. Deshalb haben wir zugleich auch eine sehr junge Wählerschaft und eine nennenswerte Präsenz junger Leute unter den Mitgliedern, neben unserer „klassischen“ Komponente aus der Arbeiterbewegung. Wir verteidigen einerseits unsere Wurzeln, andererseits suchen wir innovativ nach neuen Ufern, und so sprechen wir zum Beispiel Feministinnen oder Pazifisten an, linke Gewerkschafter und No-Globals, aber auch Personen aus dem katholischen Milieu.

Welchen Sinn hat heute das Wort „kommunistisch“?

Der Kommunismus als Staatsmacht ist tot, und das nicht nur wegen äußeren Entwicklungen, sondern wegen Ursachen, die in seinem Innern angelegt sind. Er hat sich als Regime der Unterdrückung statt als Regime der Befreiung erwiesen. Die theoretische Reflexion der Marxismen dagegen hat zwar einerseits durchaus auch Elemente der Sklerose, andererseits aber hat sie eine vitale Seite bewahrt. Auch mit Blick auf die im Namen des Kommunismus geführten sozialen Kämpfe ist genau zu prüfen, was tot und was dagegen lebendig geblieben ist. Wir haben radikal mit der kommunistischen Tradition gebrochen, doch wir bekräftigen weiterhin den Grund, aus dem der Kommunismus entstand: die Idee, Frauen und Männer von Unterdrückung und Entfremdung der Lohnarbeit zu befreien.

Gegenüber den neuen gesellschaftlichen Bewegungen haben Sie mit der kommunistischen Tradition gebrochen: Sie wollen hier nicht mehr die Avantgarde spielen.

Das ist ein ganz wichtiger Bruch, auf den wir stolz sind. Wir wollen die Bewegungen nicht mehr von außen „führen“, eben weil wir die Niederlage des Kommunismus in der Version des 20. Jahrhunderts erlebt haben. Wir wollen in den Bewegungen wirken und uns dabei mit den dort präsenten verschiedenen Kulturen auseinander setzen, in einer Beziehung, in der niemand beanspruchen kann, er sei der Herr, weil eben auch niemand dort Knecht ist. Wir alle in den Bewegungen müssen zugleich lernen und lehren. Antonio Gramsci bezeichnete seinerzeit die Partei als „kollektiven Intellektuellen“. Für uns sind heute die Bewegungen der kollektive Intellektuelle.

Gegen diese Wende hin zur globalisierungskritischen Bewegung gab es aber heftigen Widerstand in der Rifondazione Comunista.

Diesen Widerstand haben wir nicht bloß zu akzeptieren, sondern als notwendig zu betrachten. Wer einen solchen Bruch vollzieht, muss die Opposition der orthodoxen Elemente in Rechnung stellen. Gerade weil wir nicht mehr Avantgarde sein wollen, können wir auch diese innere Opposition akzeptieren. Es wäre ja noch schöner, wenn wir erst mit dem Stalinismus abrechnen und uns dann nach innen stalinistisch aufführen.

Sie heben jetzt in Europa die Partei der – wie Sie sagen – antagonistischen Linken aus der Taufe. Ist diese mehr als ein Bündnis nationaler Parteien?

Im Unterschied zur reformistischen Linken kämpfen wir für ein anderes Modell der Gesellschaft, eben wie die globalisierungskritische Bewegung sagt: „Eine andere Welt ist möglich.“ Zunächst sind wir auf europäischer Ebene natürlich die Summe nationaler Parteien; wir akzeptieren völlig die Souveränität der einzelnen Mitgliedsparteien. Aber wir haben eine gemeinsame Entscheidung getroffen, was unsere Beziehung zu den neuen Bewegungen angeht, und damit entsteht in Europa ein politisches Subjekt, das aus eigenem Entschluss eine fundamentale Beziehung herstellt zu den globalisierungskritischen, den Friedens-, den sozialen Bewegungen.

Was eint die Parteien?

Im wesentlichen drei Punkte. Erstens: ein radikales Nein zur US-Linie des präventiven Kriegs. Zweitens ein ökonomisch-soziales Modell in Alternative zur neoliberalen Politik und drittens die Intention, die Politik auf der Basis von Demokratie und Partizipation zu erneuern.

Das ist wirklich Konsens?

Es gibt bei uns noch verschiedene Auffassungen, wie wir die Öffnung der Partei der Europäischen Linken hin zur europäischen Gesellschaft gestalten sollen. Ein Vorschlag lautet, die individuelle Mitgliedschaft in der europäischen Partei auch Leuten zu ermöglichen, die keiner der nationalen Parteien beitreten wollen. Wir haben beschlossen, diese Frage nicht per Mehrheitsentscheid zu lösen. Stattdessen wollen wir es ermöglichen, mit dieser Lösung zu experimentieren. In Italien werden wir Mitglieder auch unter denen werben, die sich unserer italienischen Partei nicht anschließen wollen.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN