Bayern – forever nicht mehr Nr. 1?

Werder Bremen hat eine außergewöhnlich gute Saison gespielt. Das Geheimnis des Erfolgs? Die Mannschaft. Sagt Trainer Thomas Schaaf. Er ist ein Teil davon

Am Samstagabend stand der Münchner Marienplatz kopf. Und damit auch die deutsche Fußball-Welt. An jener beinahe schon mythischen Stätte recken ja sonst die teuer zusammengekauften Mannschaften des FC Bayern München den erfolgsverwöhnten Fan-Scharen vom Rathausbalkon aus die Schale entgegen. Nun war an genau diesem Platz Glückseligkeit in Grün, Weiß und Orange angesagt.

Tausende Fans von Werder Bremen hatten sich nach der souveränen, locker-leichten 3:1-Lehrstunde ihres Teams im Herzen der Bayern-Metropole breit gemacht. Aus dem Bistro-Café „Zum ewigen Licht“, der „Geburtsstätte der Münchner Weißwurst anno 1857“, schleppten Bedienungen tausende Maßkrüge auf den Platz. Dort brüllten die Bremer dem leeren Rathausbalkon ein ironisches „Wir woll’n die Meister seh’n“entgegen.

Samstagnachmittag, 17.15 Uhr, schlug die Minute, in der der ewig beherrschte, ewig analytische Fußball-Lehrer Thomas Schaaf die Einsamkeit des Rasens suchte. 3:1 in München gewonnen, groß aufgespielt, zwei Spieltag vor Saisonende uneinholbare neun Punkte in Führung: Mit dem Schlusspfiff stand Schaaf auf und ging gemessenen Schrittes über das Spielfeld. Wer allerdings eine Parallele zum entrückten Flanieren des Teamchefs Franz Beckenbauer nach dem deutschen WM-Sieg 1990 konstruieren wollte, wurde rasch eines Besseren belehrt. Als Schaaf später nach diesen Minuten der Einsamkeit gefragt wurde, kam von ihm bloß ein karger Satz: „Das waren private Dinge, die behalte ich auch für mich.“

Niemand wäre auf die Idee gekommen, da noch weiter zu bohren. Schaaf (43) ist kein Schwätzer, kein Zampano und kein Dressman, aber ein Mann mit sehr großer Autorität. Einer, den seine Spieler duzen dürfen – und den sie doch als Chef respektieren. Andernfalls kann der Mann auch sehr böse knurren – natürlich nur intern, versteht sich.

„Es ist schon eine tolle Sache, beim amtierenden Deutschen Meister Deutscher Meister zu werden.“ So was sagte Bremens Trainer. Mit der ihm eigenen Monotonie in der Stimme. „Darüber kann man sehr zufrieden sein …“, setzte er nach, stutzte – und erlaubte sich angesichts der Umstände dann doch noch eine kleine Korrektur: „Darüber kann man sehr glücklich sein, wie die Mannschaft sich heute gezeigt hat.“ Irgendwann war er dann sogar „überglücklich“. Welchen Beitrag denn der Trainer geleistet habe, wurde Schaaf dann gefragt. „Der gehört zur Mannschaft dazu.“ Punkt. Die „Mannschaft als Einheit“ – das ist das rhetorische und inhaltliche Leitmotiv des Trainers Schaaf.

So wischte er sich immer wieder verstohlen eine kleine Träne aus dem Auge und sang sein bislang schönstes, anrührendstes Hohelied auf die Mannschaft, die er seit März 1999 betreut und maßgeblich mit geformt hat im kleinsten Bundesland, wo sie ein Stadion haben, das kein Spiel bei der WM 2006 erhalten hat, wo sie Fans haben, die eigentlich immer mit der schlimmstmöglichen Wendung rechnen, wo die sparsamen hanseatischen Geschäftsleute in der Werder-Führungsriege schon kritisch die Stirn runzeln, wenn Sportdirektor Klaus Allofs einmal für einen Transfer plädiert, der nicht zum Nulltarif zu machen ist. Zwei Spiele kann man jetzt schaulaufen, dann kommt das DFB-Pokalfinale gegen Alemania Aachen. Und in der kommenden Saison die Champions League.

Schaaf will selbstredend weiter auf seine Meistermannschaft bauen: auf den sicheren Torhüter Andreas Reinke, die Verteidigung um Abwehrchef Valérien Ismael, die bezaubernd-zaubernde Mittelfeld-Raute mit dem Regisseur Johan Micoud, dem Krafbolzen Tim Borowski oder dem auch in München wieder Zuckerpässe schlagenden Fabian Ernst. Und der Angriff soll auch nach dem Weggang von Torgarant Ailton nach Schalke schlagkräftig bleiben – das übrigens lässt nicht nur Kahn-Bezwinger Ivan Klasnic, sondern auch der junge Nelson Valdez erahnen. Inwiefern der bislang ökonomisch gewagteste Neuzugang Miroslav Klose sich integrieren lässt, bleibt abzuwarten. Werder war übrigens ohne den Aufsichtsrat, SPD-Senator und Ex-Manager Willi Lemke nach München gereist. Vielleicht steht das Gespann Schaaf/Allofs ja wirklich für einen Paradigmenwechsel, weg vom ewigen Sichreiben am Ideologie-Feind Bayern. Weg vom mit viel Geld zusammengekauften Ensemble der Zicken und Diven und wieder hin zum lustvollen Kollektiv, weg von der Verbissenheit und hin zu unverkrampfter Leichtigkeit. Die Münchner Boulevardpresse rechnete nicht ohne Neid vor, dass der gesamte Werder-Kader „mit 5,7 Millionen Euro Ablöse“ nur wenig mehr gekostet habe „als Bayerns Argentinier Demichelis“. Was sagt Thomas Schaaf zu so was? „Sie wissen ja, wie in Bremen die Bedingungen sind“, sagt er. „Ich glaube, wir haben das Beste da rausgeholt.“ Besser geht’s nicht. Oder doch?

MARKUS JOX