Bewegung ist gesund

Die Erwartungen an die Gespräche zwischen Regierungs- und Unionsfraktion sind groß

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Nun hätte die Union ohnehin keinen anderen gehabt. Aber dass Horst Seehofer nun tatsächlich Verhandlungsführer der CDU/CSU-Fraktion bei der Gesundheitsreform werden soll, lässt darauf schließen, dass der Tagesordnungspunkt „Privatisierungen“ bei den Verhandlungen jedenfalls nicht ganz oben stehen wird.

Denn der Exgesundheitsminister und Fraktions- wie CSU-Vize wird sich in den letzten Tagen nicht umsonst mit der Unions-Spitze darum gestritten haben, ob Zahnersatz in eine Privatversicherung ausgelagert werden soll oder nicht. Zwar sagte Seehofer gestern, er wolle das Konzept seiner Fraktion „in allen Punkten“ verhandeln – inklusive der Privatisierung des Zahnersatzes. Doch keine Äußerung der Unions-Fraktion ließ darauf schließen, dass privatversicherter Zahnersatz ab heute Herzensangelegenheit würde.

Entsprechend glücklich waren gestern die Koalitionäre: „Die Gesundheitsreform ist möglich – dies zeigen die Entscheidungen der Union der letzten Tage“, sagte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Birgitt Bender sagte zur taz, dass Seehofer den Hut aufhabe, „ist von Vorteil. Der Mann weiß, wovon er redet.“ Offenbar herrsche in der Union noch keine vollständige Klarheit darüber, „ob es wirklich richtig ist, die gesetzliche Krankenversicherung auszubeinen“. Dass es jedoch die Union mit ihren Gesprächsangeboten ernst meine, sagte Bender, „das glaube ich erst, wenn Zusagen zu Zeitplänen gemacht worden sind“.

Über Zeitpläne wird sich ab heute Mittag die interfraktionelle Runde der Gesundheitsexperten unterhalten. Hier sollen auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Horst Seehofer aufeinander treffen. Die Erwartungen an diese Runde sind hoch: Sollte sie erfolgreich verlaufen, so hieß es gestern, würden womöglich sogar die diese Woche laufenden Beratungen des Gesundheitsausschusses ausgesetzt.

Es könnte also sein, dass ab heute wirklich über das Reformgesetz von Ulla Schmidt, genannt Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG), verhandelt wird. Über Verhandlungslinien wurde gestern nur spekuliert. Klar ist jedoch, dass in drei Punkten Ärger einprogrammiert ist: Das sind erstens die Zumutungen, die Schmidt für Ärzte und Apotheker vorgesehen hat, genannt „Wettbewerb“; zweitens „das Institut“, mit vollem Namen „Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin“; drittens die Frage, mit wie viel Zuzahlungen Patienten belastet werden können.

(1) Was den Wettbewerb für Ärzte und Apotheker angeht, so sprach auch Scholz gestern davon, dass die SPD hier von der Union „mehr Mut“ erwarte. Im GMG ist vorgesehen, dass junge Fachärzte mit den Krankenkassen direkt – also ohne das schützende Dach der Kassenärztlichen Vereinigungen – über Leistungen und Preise verhandeln. In Gesundheitszentren sollen Ärzte sich nach dem Vorbild der DDR-Polikliniken zusammenschließen können. Außerdem sollen Apothekenketten entstehen und Medikamente auch per Versandhandel verkauft werden. Ärzte und Apotheker laufen gegen all diese Maßnahmen Sturm – ihre Forderungen hat sich die Union bislang zu Eigen gemacht und sich dadurch den Rückhalt der Lobbyorganisationen gesichert.

(2) Ähnlich ist die Union beim „Institut“ verfahren. Die Ärzte und die Pharmaindustrie lehnen eine solche zentrale Qualitätssicherungsinstanz strikt ab. Gemeinsam mit der Union haben sie hierfür die Worte „Staatsmedizin“ und „Bürokratie-Monster“ geprägt. Auch im Gesundheitsausschuss wurde gestern wieder einmal heftig über das Zentrum für Qualität gestritten. Ulla-Schmidt-Berater Karl Lauterbach sagte hier, das Institut sei Kernbestandteil der Reform. Gleichwohl gibt es bereits Planungen, wonach die Funktionen des Instituts auch auf bereits existierende Institutionen von Ärzteschaft und Krankenkassen verteilt werden könnten.

(3) Ein Punkt, der Versicherte, sprich Wähler, regelmäßig am meisten aufregt, sind die Zuzahlungen. Laut GMG sollen die Zuzahlungen für Medikamente nach Packungsgröße gestaffelt und erhöht werden. Auch Krankenhaustage werden mehr kosten, und nicht verschreibungspflichtige Medikamente sollen voll selbst bezahlt werden. Wer direkt zum Facharzt geht statt erst zum Hausarzt, muss außerdem eine Praxisgebühr von 15 Euro zahlen. Es gibt Ermäßigungen und Ausnahmen.

Die Union jedoch will ein Zuzahlungssystem, das weit darüber hinausgeht: Jeder soll 10 Prozent seiner Behandlungskosten selbst zahlen, maximal 2 Prozent vom Bruttojahreslohn. Diese 2-Prozent-Grenze gibt es zwar schon jetzt. Doch wären nach Unions-Plänen weit mehr Menschen davon betroffen. In Kassenkreisen wird die 10-Prozent-Klausel zudem als nicht realisierbar betrachtet: Es gebe kaum eine Möglichkeit, die 10 Prozent sauber zu berechnen. Im Übrigen müsste dafür das gesamte Vergütungssystem nach dem Vorbild der Privatversicherungen auf Kostenerstattung durch den Patienten umgestellt werden – kaum vorstellbar, dass die Union ihren Wählern das zumutet.

All dies heißt nicht, dass die Systemfrage – ob Kassenleistungen privatisiert werden oder nicht – vom Tisch ist. Spätestens im Dezember kehrt sie zurück: Dann stimmt die Union über den Reformkatalog der Herzog-Kommission ab. Der aber ist auf Privatisierung angelegt.