Atlantis in der Spree

Als man in der Spree noch baden konnte: Die Ufer des Berliner Flusses als öffentlichen Raum aufzuwerten hat sich der Verein Stadtkunstprojekte vorgenommen. Mit einem Schwimmbad, einer Fata Morgana und dekorativen Lichtspielen an den Brücken

VON BARBARA KERNECK

„Toll!“, sagte Frau S., einst Erzieherin und heute Treptower Rentnerin: „Ich find’s toll, und die Leute hier werden’s auch toll finden. Das ist mal eine Abwechslung. Und der Eintritt, 3 Euro, ist auch vertretbar.“ Die Rede war vom „Badeschiff Spreebrücke“ an der Arena in Treptow und der Anlass seine Eröffnung am vergangenen Samstag.

Zu der hatte Frau S. sich in ihrer Eigenschaft als interessierte Anwohnerin Zugang verschafft. Das Badeschiff wurde dabei als eines von vier Kunstwerken präsentiert, mit denen der 2001 gegründete Verein Stadtkunstprojekte vorhat, die nach dem Kriege teils abgerissenen, teils vernachlässigten Spreebrücken zu thematisieren und die Spreeufer wieder als einen öffentlichen Raum zu gewinnen. Zwei ebenfalls öffentlich ausgeschriebene Projekte wurden noch am gleichen Abend vorgestellt, ein viertes wird bislang als geheim gehandelt. Alle Installationen zusammen haben rund 1 Million Euro gekostet. Auf das Badeschiff entfallen dabei 400.000, die neben dem Hauptstadtkulturfonds auch von seiner privaten Betreiberin Arena aufgebracht wurden. Es wird von nun an von 8 Uhr morgens bis 24 Uhr für das Publikum geöffnet sein.

Im Mittelteil eines Spree-Schubleichters vom Baujahr 1967 können die Berliner nun zum Schein dort schwimmen, wo sie eigentlich längst wieder schwimmen können sollten: nämlich in der Spree. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts ließ die Wasserqualität dies zu. Es gab in Berlin 15 Flussbadeanstalten, darunter auch eine in einem Schiff. Im Badeschiff von heute liegt man wie auf einer Terrasse, ein wenig über der Flussoberfläche, durch einen Komplex von hölzernen Bühnen mit dem Festland verbunden.

Bei der Länge des Bassins von 36 Metern und nur 8,20 Meter Breite ist allerdings zu erwarten, dass die meisten Gäste kommen werden, um in der Sommerhitze auf den ringsum malerisch drapierten Liegestühlen und Hängematten zu dösen: eine Bar mit Dusch- und Plantschgelegenheit. Anziehend vor allem nachts, wenn der Fluss in blaues Licht getaucht sein wird.

Denn, leicht vergisst man es, das Schiff ist auch eine ästhetische Inszenierung, um den Blick auf den Stadtraum wieder zu genießen. Frau S. bestaunt die skurrile Skyline am anderen Ufer: alte Lagerhäuser und Villen, der Alexanderturm und die Oberbaumbrücke – und gerade richtig hinter dem Schiff eine Lücke, durch die der Lichtenberger Kirchturm hindurchblitzt. „Ich kann immer nur gucken und gucken.“

Unterdessen schipperten Presseleute und Organisatoren die Spree hinauf, Richtung Museumsinsel. Kuratorin und Mitgründerin des Vereins Stadtkunstprojekte, Heike Catherina, bezeichnete nach drei Jahren Vorbereitungszeit diese Eröffnung als „Freudentag“. Die Realisierung der Projekte sei eine „absolute Ausnahme“ im heutigen Kunstbetrieb – so viele Mittel vom Hauptstadt-Kulturfonds zu erhalten und dazu noch zahlreiche private Sponsoren mobilisieren zu können. Für die Zukunft erhofft sie sich eher bescheidenere Konzepte, und sie möchte versuchen, weiter mit Sachspenden und Leihgaben zu arbeiten.

Geliehen sind auch die beiden 7.000-Watt-Projektoren, die zur Realisierung der „Lichtbrücke“ von Micha Kuball und Riken Yamamoto/Faessler notwendig waren. Da stehen sie dann, zu beiden Enden der Friedrichsbrücke an der Museumsinsel: zwei dicke Steinobelisken, aus denen feines Licht sickert, das die Brückenoberfläche verwandelt, nein, nicht in einen Fluss, wie es in der Presseankündigung hieß, sondern eher in dem Marmor Verwandtes, dessen Geäder sich permanent leicht verschiebt. Das Ziel der Künstler, die Brückengänger zu irritieren, ist zumindest schritttechnisch erreicht. „Huch, ich hab heut meine hohen Schuhe an, und mir wird direkt schwindlig“, seuftzte eine junge Frau. Doch nach wenigen Schritten fängt das steinerne Pflaster sie wieder auf.

Die Lichtbrücke wirkt sehr dekorativ. Die biedermeierliche Note wurde an jenem Abend durch eine Ziehharmonikaspielerin vollendet, die am Geländer „Unter den Dächern von Paris intonierte“ – vermutlich nicht ganz im Sinne der Veranstalter.

Nur wenige Schritte weiter leuchtet grün die Installation „Fata Morgana“, die Tom Heneghan und Manu Kumar entworfen haben, unter der Eisernen Brücke hervor. Erst wer sich unter das Gewölbe begibt, auf ein eigens dort vertäutes Schiff, erblickt die ganze Pracht: Leuchtkästen unter der Brücke projizieren eine hellblau strahlende Silhouette Europas und ein den Kontinent smaragdgrün umgebendes Meer auf den Brückenbogen. Straßenzüge und Häuserblocks aus Peking und Los Angeles sind wie Mosaiksteine in den Umriss des alten Kontinents eingearbeitet. Das Kunstwerk umfängt den Betrachter, denn unten in der Spree schimmert es konvex wie ein versunkenes Atlantis. „Geil, supergeil!“, ruft ein ums andere Mal ein langhaariger Blonder über die Reling und zeigt dann auf ein herausgehobenes Pekinger Gebäude: „Das ist die für zivile Satelliten höchste zugelassene Vergrößerung. Da will ich nicht wissen, wie das mit militärischen Vergrößerungen ist? Da hat man ja keine Privatsphäre! Da sollte man sich am liebsten nur noch unter Brücken aufhalten.“ So kann man also diesen kühnen Brückenbilderbogen auch als schützenden Unterstand betrachten.

Sei’s drum. Mit all den potenziellen Selbstmordattentätern unter uns und militärischen Satellitenkameras über uns – warum sollen wir es uns da in unserer Hauptstadt nicht ein bisschen gemütlich machen?

Die Stadtkunstprojekte laufen bis zum 10. Oktober