KABINETT: PERSONALDISKUSSIONEN LÖSEN KEINE STRUKTURKRISEN
: Die unerfüllbaren Vorgaben

Die Woche fängt gut an. Der koalitionsinterne Streit über die künftige Haushaltspolitik geht weiter, sowohl in den Reihen der Grünen als auch in denen der SPD. Wenn endgültig feststeht, wie viele Milliarden in der Kasse fehlen, dürften die Wogen noch höher schlagen. Es wird neue, wunderbare Anlässe geben, um darüber zu spekulieren, wie lange sich Hans Eichel noch halten kann, ob Wolfgang Clement hinwirft und wann Gerhard Schröder um eine Kabinettsumbildung nicht mehr herumkommt. Dementis des Regierungssprechers können stimmen oder auch nicht. Sie sind in diesem Zusammenhang erwartbar und deshalb belanglos.

Belanglos ist allerdings die gesamte Personaldiskussion, auch wenn sie – wie jede Form von Klatsch – durchaus Spaß macht. Aber um sehr viel mehr als Klatsch handelt es sich eben nicht. Es gibt gute Gründe, der Regierung schwere handwerkliche Fehler vorzuwerfen, und es liegt in der Natur von Fehlern, dass sie hätten vermieden werden können. Sonst sind es keine. Ein Kabinett, das weniger ungeschickt und dilettantisch agiert als das jetzige ist leicht vorstellbar. Schwer vorstellbar ist hingegen, dass es einer anderen Bundesregierung, welcher Couleur auch immer, gelingen könnte, überzeugende Lösungen für die grundlegenden Probleme der Gegenwart zu finden. Die Krise der Politik ist nämlich keine personelle, sondern eine strukturelle. Das ist niederschmetternd. Denn es bedeutet, dass weder an ein Kabinettsrevirement noch an einen Regierungswechsel große Hoffnungen geknüpft werden könnten.

Die Bundesregierung und auch das Parlament – genauer: ihr Handlungsspielraum und somit ihre Bedeutung – werden maßlos überschätzt. Die weitreichende Übertragung nationaler Kompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union einerseits und die immer engere Verzahnung der Bundes- und der Länderebene andererseits haben dazu geführt, dass die vermeintlichen „Gestalter“ der Politik in Berlin immer weniger Entscheidungen von einiger Tragweite treffen können, selbst wenn sie es wollen. Sie erinnern mittlerweile an Verwaltungsangestellte, die sich verzweifelt darum bemühen, unerfüllbare Vorgaben zu erfüllen, um ihren Job zu behalten. Deshalb ist Innenpolitik ausgerechnet in einer Zeit gewaltiger Umbrüche und Veränderungen so langweilig geworden.

Wenn sich die Minister jetzt zanken wie die Kesselflicker, dann tun sie das ja nicht, weil sie meinten, das sei ihrem Image förderlich. Sondern weil sie vor einer Aufgabe stehen, die objektiv als unlösbar erscheint: Sie sollen Milliardenlöcher im Haushalt stopfen, ohne die Steuern zu erhöhen, ohne weitere Schulden aufzunehmen, ohne die Verfassung oder den EU-Stabilitätspakt zu verletzen, ohne der Bevölkerung weitere Härten zuzumuten, und sie sollen ganz nebenbei auch noch dafür sorgen, dass die Konjunktur in Schwung kommt und die Leute endlich mehr Geld ausgeben. Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu dem Ergebnis zu kommen: Das wird nicht gehen.

Wie auch die Opposition weiß. Sie legt Konzepte vor, die selbst Fachleute aus ihren eigenen Reihen für nicht finanzierbar halten. CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz scheut nicht einmal davor zurück, den Eindruck zu erwecken, die Etatprobleme des Staates ließen sich lösen, wenn man Sozialhilfeempfänger unter die Brücken schickte. Ein solchen Populismus kann man sich nur leisten, wenn man ohnehin davon ausgeht, dass einem die Wählerinnen und Wähler kein Wort glauben, deren Wunsch nach Abstrafung der Regierung aber innig genug sein wird, um den eigenen Wahlerfolg sicherzustellen. Das ist politische Scharlatanerie.

Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn die Innenpolitik wieder an Bedeutung gewinnen und nicht weiter im Prokrustesbett eingezwängt bleiben soll: die Demokratisierung der EU und die – damit zusammenhängende – Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip, das besagt, dass keine Aufgabe von einer höheren Ebene übernommen werden soll, die auch von einer niedrigeren erfüllt werden kann. Beides ist keine Garantie für eine erfolgreiche Sanierung der Staatsfinanzen, aber die Bedingung für jeden ernst zu nehmenden Versuch. Medienwirksam sind die Themen allerdings nicht. So lange der Bundeskanzler glaubt, in der gegenwärtigen Lage sei sein Platz in der Talkshow von Kerner, steht nicht zu erwarten, dass sie auf der politischen Agenda nach oben rücken. BETTINA GAUS