Vielfalt statt Einfalt bringt vielen Gehalt

Ausländische Unternehmer schaffen Arbeitsplätze. Grüne und IHK luden zur Konferenz „Vielfalt statt Einfalt – viele Kulturen unternehmen in Berlin“

„Berlin schrumpft, und das bedeutet, dass es allen schlechter gehen wird“

von RICHARD ROTHER

1982 hat Sandeep Singh Jolly in Berlin Abitur gemacht. „Als ich nach zehn Minuten mit der Mathe-Klausur fertig war, fragte mich der Lehrer, wo ich abgeschrieben hätte.“ Der gebürtige Inder studierte später Informatik, gründete nebenbei einen Gewürzgroßhandelsbetrieb. Dann folgten Software-Unternehmen, heute betreibt er eine deutsch-indische Wirtschaftsfördergesellschaft, die sich unter anderem auf die Vermittlung von IT-Fachkräften spezialisiert hat. Sein Prinzip war einfach. In jedem der beiden Staaten fanden sich Kreative, Spezialisten und Finanziers, die in die jeweils andere Seite investieren wollten. Was fehlte, war das Relais – die richtige Verbindung zum gewünschten Partner. Jolly stellt sie her.

Der perfekt Deutsch sprechende Jolly ist damit ein lebendiges Beispiel dafür, wie ausländische Unternehmer die Berliner Wirtschaft befruchten können. Eine Unternehmerbiografie, die wie geschaffen schien für eine Konferenz, die die Grünen-Abgeordnetenhausfraktion und die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) am Montagabend unter dem Titel „Vielfalt statt Einfalt – viele Kulturen unternehmen in Berlin“ durchführten. „Gerade in Berlin mit vielen Ethnien und Kulturen entfalten nichtdeutsche Unternehmerinnen und Unternehmer neue Dynamiken in Wirtschaft und Gesellschaft“, so der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann.

Dabei gibt es allerdings noch oft genug Schwierigkeiten und Regelungen, die ihre Entwicklung hemmen. Ali Uzum, seit mehreren Jahren erfolgreicher Betreiber eines bundesweit agierenden Baumpflegeunternehmens, versteht nicht, dass er in seinem Betrieb nicht ausbilden darf, nur weil er keinen Meisterbrief hat. „Wir pflegen jährlich 15.000 Bäume“, so Uzum. Das alles müsse doch Referenz genug sein.

Auch Selcuk Saydam hat Schwierigkeiten, junge Azubis in seinem Zwölf-Mitarbeiter-Betrieb auszubilden, der im Wedding türkische Backspezialitäten herstellt und europaweit vertreibt. Der Grund: Baklava und Halva passen offenbar nicht ins Berufsbild einer deutschen „Fachkraft für Süßwarentechnik“. Jetzt will sich Saydam an einer Verbundausbildung beteiligen. So kann sein künftiger Azubi in einem anderen Betrieb lernen, was zum Beruf gehört: die Herstellung von Karamelbonbons zum Beispiel.

Die IHK Berlin zählt mehr als 15.000 ausländische Gewerbetreibende als Mitgliedsfirmen. Allein die größte Gruppe der Berliner Business Community – die Türkischstämmigen – besteht aus inzwischen 6.000 Betrieben mit rund 22.000 Beschäftigten.

Für Volkmar Strauch (SPD), Staatssekretär für Wirtschaft in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, ein Potenzial, das es gegen die Widerstände gegen das neue Einwanderungsgesetz zu nutzen gilt. „Zuwanderer sind nicht nur mobil mit den Füßen, sondern auch mit dem Kopf.“ Sie wollen ihre eigene wirtschaftliche Situation verbessern, würden so den Markt dynamisieren. Zuwanderung sei aber auch aus demographischen Gründen geboten. Derzeit liege die Berliner Geburtenrate bei rund 1,5 Kindern pro Frau. „Berlin schrumpft, und das bedeutet, dass es allen schlechter gehen wird.“ Schließlich können Unternehmen an Menschen, die nicht mehr da sind, keine Waren oder Dienstleistungen verkaufen.

Die Zahlen aus der Region sprechen eine deutliche Sprache. Bis zum Jahr 2015 wird die Bevölkerungszahl um 200.000 bis 250.000 Menschen sinken. In Brandenburg wird die Anzahl der Kinder bis 2017 um 17 Prozent zurückgehen. Zu diesem Zeitpunkt wird bereits jeder vierte Brandenburger älter als 65 Jahre sein.

Wirtschaftsstaatssekretär Strauch will aber nicht nur auf Zuwanderung, sondern auch auf Integration setzen. Eines werde er von der Konferenz in den Senat mitnehmen, so Strauch. „Wir müssen mehr ausländische Azubis in den öffentlichen Dienst bringen.“