Reinhard Meys Abgesang kam zu früh

Wie jedes Jahr im Mai entdecken die Medien eine Invasion der Maikäfer. Rostocker Zoologe warnt: Was heute in den Medien als „Plage“ aufbereitet wird, galt vor 100 Jahren noch als „normal“. Doch in den 50er-Jahren kam das DDT

BERLIN taz ■ „Karlsruhe von Maikäferplage bedroht“; „Maikäferinvasion in Rheinsberg“. Es ist wie jedes Jahr im Mai: Die Ortsnamen sind austauschbar, die Bedrohung ist dieselbe. „Das ist natürlich Unsinn“, sagt Ragna Kinzbach, Zoologe der Uni Rostock. „Die letzte Plage gab es in den 50er-Jahren“, sagt der Professor. Damals hätten in seiner Heimatstadt nachts unter den Laternen meterhoch tote Käfer gelegen, die dann „an die Hühner verfüttert wurden“. Mit grotesken Randerscheinung: Derart gemästet, legten sie Eier ohne Schalen.

Immer schon wehrte sich die Menschheit gegen die „Plage“. Früher wurden Maikäfer von den Bischhöfen exkommuniziert. Dank ihres Eiweißreichtums wanderten sie aber auch in Suppentöpfe oder wurden kandiert als Nachtisch serviert – bis in die 50er-Jahre hinein. Dann aber änderte sich das: Die Länder Mitteleuropas beschlossen, den Maikäfer auszurotten – ein für alle Mal. „Damals sprühten Flugzeuge tonnenweise den Insektenvernichter DDT über die Flur“, erinnert sich Kinzlech. DDT – fachchemisch Dichlordiphenyltriclorethan – ist praktisch die Inkarnation des Umweltteufels: krebserregend, nerven-, fortpflanzungs- , immunsschädigend, obendrein schwer abbaubar – heutzutage natürlich verboten. Man hat DDT sogar in der Antarktis nachgewiesen – obwohl dort nie jemand „Pflanzenschutzmittel“ sprühte.

Die Anti-Maikäfer-Kampagne war ein voller „Erfolg“. Nicht nur die Käfer verschwanden vom Erdboden, sondern etwa auch Hirschkäfer oder Falter (Trauermantel, Schillerfalter).

„Erst Reinhard Meys Lied ‚Es gibt keine Maikäfer mehr‘ brachte ein Nachdenken“, sagt Kinzbach. Und so etwas wie Freude, als Ende der 80er stellenweise wieder kleine, wenn auch kranke Populationen auftauchten.

Dabei ist der Käfer, der nach sechs Wochen stirbt, gar nicht das Problem, sondern die Larve, Engerling genannt. Diese vertilgt entweder drei (Feldmaikäfer) oder vier Jahre lang (Waldmaikäfer) sämtliche Pflanzenwurzeln unter der Erde. Der Käfer selbst frisst liebend gern Jungblätter. Aber Bäume – selbst kahl gefressen – überstehen das: Sie treiben wieder aus. Kinzbach sagt: „Es gibt sicherlich heute wieder Flecken von einem gewissen Befall.“ Dieser sei aber in etwa so wie die Population in „normalen Jahren – vor der DDT-Attacke“.

NICK REIMER

www.senckenberg.uni-frankfurt.de/expo/9805.htm