Brandenburg beruhigt sich

Große Koalition in Potsdam hält Berichte über Misshandlungen in Brandenburger Haftanstalt für überzogen. SPD-Spitze: Rücktritt von CDU-Justizministerin unnötig

BERLIN taz ■ Brandenburgs Sozialdemokraten schlagen nicht weiter auf ihren Koalitionspartner CDU ein. Die Führung der Brandenburger SPD will nun doch nicht den Rücktritt von Justizministerin Barbara Richstein (CDU) wegen der Berichte über misshandelte Häftlinge im Gefängnis Brandenburg/Havel. Das erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wolfgang Klein, gestern während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Potsdamer Landtag.

Der Bericht des RBB-Magazins „Klartext“, wonach in der JVA wiederholt Häftlinge von vermummten Aufsehern verprügelt worden seien, sei nach derzeitigen Erkenntnissen überzogen. Auch CDU-Vize Sven Petke, zugleich Mitglied im Rechtsausschuss, sagte der taz, „von den Vorwürfen wiederholter Misshandlungen hat sich null bestätigt“. Klar sei aber, dass ein herzkranker Häftling zu spät von einem Arzt behandelt worden sei.

Ein Sprecher von Regierungschef Mathias Platzeck (SPD) sagte der taz, man werde den heutigen „Bericht Richsteins im Landtag abwarten, bevor sich der Ministerpräsident äußert“.

Stimmung für den Landtagswahlkampf wird die SPD mit den Misshandlungsvorwürfen also wohl nicht machen, obwohl sie in ihrem einstigen Stammland Brandenburg laut Umfragen hinter der CDU liegt. Doch nicht nur die SPD hält sich zurück. Auch die PDS, einzige Oppositionspartei, tut sich nach der gestrigen Rechtsausschusssitzung schwer, Richsteins Rücktritt zu fordern. Petra Faderl, PDS-Frau im Rechtsausschuss, musste zugeben, „dass sich die Vorwürfe wiederholter Misshandlungen nicht bestätigt haben“.

Allerdings ist die Kehrtwende der SPD innerhalb der Partei nicht unumstritten. So sagte der innenpolitische Sprecher Werner Siegwart-Schippel, der taz: „Richstein muss die Verantwortung übernehmen, denn sie hat nichts von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Brandenburg gewusst.“ Er bezeichnete das Ressort von Richstein als ein „Haus der Ahnungslosen“.

Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt seit Januar wegen Misshandlungsvorwürfen in der JVA Brandenburg/Havel. Nach Aussage von Staatsanwälten wurde dies dem Ministerium nicht gemeldet, weil es solche Anzeigen immer wieder gebe. „Hätten sich derartige Übergriffe als wahr herausgestellt, wäre das Ministerium informiert worden“, sagte Claudia Grimm vom Bund Brandenburger Staatsanwälte. Ihrer Meinung nach lag kein Versäumnis vor. Das sah der Rechtsausschuss anders und bescheinigte Staatsanwaltschaft und JVA Defizite, weil sie so lange geschwiegen hatten.

Brandenburg/Havel gilt als Problemgefängnis. Wegen mehrerer Skandale hatte die JVA in den vergangenen 15 Jahren sieben Leiter. Am Wochenende enthob die Justizministerin den bisherigen Anstaltschef seines Amtes. Herrmann Wachter muss nicht mit einem Disziplinarverfahren rechnen, sondern wird irgendwo anders im Justizapparat eine Arbeit finden. Mitarbeiter der Haftanstalt werten dies als Bauernopfer. „Unter Wachter hat sich wenigstens noch etwas bewegt“, sagte ein Mitarbeiter der taz. Er habe Sozialarbeiter eingestellt und versucht, das Klima zwischen Häftlingen und Bediensteten zu verbessern. CDU-Vize Petke findet die Ablösung „richtig“, weil Wachter das Ministerium nicht ausreichend informiert habe. Außerdem wird das Justizministerium 80 Fälle neu untersuchen, in denen Häftlinge in den vergangenen fünf Jahren über Misshandlungen geklagt hatten. DANIEL SCHULZ