Alter Mann mit Mut

Das SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Wird Dissens zur Mutprobe, ist nicht Seehofer verrückt geworden, sondern alle drumrum

Das Comedypotenzial der älteren Mitbürger erkannte zuerst Sat.1. Wobei der Serientitel „Die durchgeknallten Alten“ verschenkt scheint, wenn man auf Horst Seehofer, Oskar Lafontaine, Helmut Schmidt oder Peter Gauweiler blickt. Was sagen die Jungs für schöne Sachen, seit sie nichts mehr zu sagen haben! Etwa Lafontaines Schröder-Brüning-Vergleich.

Reichskanzler Brüning hatte am 1. April 1930 doch nur gesagt: „Ohne eine schnelle Ordnung der Kassen und Finanzlage fehlt die Gewähr für die dringend notwendige Entlastung der Wirtschaft. Eingehende Sparvorschläge auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens werden in kürzester Frist seitens der Reichsregierung den zuständigen Körperschaften unterbreitet werden.“ Agenda ’30 also, wobei Brüning seinen Versuch, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, auf Notverordnungen gründete; Schröder dagegen muss deren Versozialhilfisierung irgendwie durchs Parlament bekommen.

Dann: Peter Gauweilers klares Nein zum Irakkrieg. Mit dem C im Namen der Unionsparteien unvereinbar, polterte Peter. Und man ahnt: Wenn Strauß-Nachfahren wie Streibl und Stoiber irgendwas gelernt haben, dann, den unter ihnen zu erkennen, der dem Gottvater an Instinkt und Rhetorik am nächsten kommt, und den aber mal als Allerersten kaltzustellen.

Und Helmut Schmidts Zeit-Text, wonach die Vereinigten Staaten den Europäern die Türkei aufnötigen wollen – weil Bush die Nato und die EU synchron lenken wolle: Für ein solches Rudel vermeintlicher Ungeheuerlichkeiten schreiben andere Leute Bücher.

Oft wird nun erklärt, in solchen Polemiken mische sich Verbitterung, Eitelkeit und Altersstarrsinn. Was auf den zweiten Blick gerade der jüngeren Generation verheißen mag, dass auch das Alter noch schöne Seiten haben wird; vorausgesetzt, man verbittert, bleibt eitel und starrsinnt munter vor sich hin.

Gottvater des donnernden Abgangs aus gewissen Gründen war zu seiner Zeit auch Christian Schwarz-Schilling: In seiner Amtszeit verschiedentlich der Mauschelei verdächtigt, peitschte der Postpostminister das Privatfernsehen durch, um zur Pension eine tröstliche Apanage aus dem Hause Kirch zu empfangen. Dazwischen aber legte er einen „Ich schäme mich, dieser Regierung anzugehören!“-Abschied hin: Die Untätigkeit Kohls habe das Blutvergießen in Bosnien-Herzegowina erst möglich gemacht. Zugleich streute es, von Kohl undementiert, Schwarz- Schilling habe seinem ohnehin beschlossenen Rauswurf ein moralisch Mäntelein aus eitel Menschenrecht umgehängt.

Aber selbst Kohl hätte das Zeug zum Star in der Loge, in der die beiden lustigen Opas aus der Muppet-Show ihre Späße treiben: Zeit seiner Regierung hat „kein deutscher Soldat seinen Fuß dorthin gesetzt, wo die Deutschen im Zweiten Weltkrieg gewesen waren“, wie Kohl es verschiedentlich als Maxime seiner Außenpolitik formulierte. Hätte er uns nicht mit seinem Spendensumpf geerdet, hätte es schlimm geendet; man müsste ihn tendenziell in diesem Punkt gar nicht so doof finden. Glück gehabt.

Nun können Politiker auch nicht alles haben; zum Beispiel ein Amt und eine Meinung gleichzeitig. Dass sie tun, wozu sie ausgewählt, gewählt und bezahlt werden – nur ihrem Gewissen verpflichtet zu handeln –, dazu bedarf es offenbar besonderer Gründe. Das ist das Faszinierende an Horst Seehofers Solo: Zum ersten Mal entschuldigt ein Politiker seine Haltung auch mit der Nahtoderfahrung einer schweren Herzerkrankung im Vorjahr. Hallo? Verstanden? Politik-wäre-viel-besser-wenn-alle-Sensemann-Tag-gesagt??? Nun ja. Verschwörungstheoretisch sei hier nicht unterschlagen, dass bei der anstehenden bayerischen Landtagswahl nun ein Teil Stoiber, der andere das Gegenprogramm, also Seehofer, wählen kann. Macht zusammen sechzig Prozent, und dann geht die Rechnung ja auf. Oder Stoiber duldet Seehofers Sturschädel, um Merkel vorzuführen, oder umgekehrt, jedenfalls auch egal. Sicher ist: Der Vorstand eines Unternehmens, der öffentlich sagt: „Ich war so krank, ich muss ehrlich sein – unser Produkt ist Mist, das der Konkurrenz ist besser!“, ist Vorstand gewesen. Etwas riskiert hat Seehofer unbedingt. Auch, wenn er am Ende der kommende Mann in der kommenden großen Koalition ist.

Deshalb die Aufregung um den christsozialen Querschläger: So ehrlich sei man vor oder nach, jedenfalls klugerweise nicht im politischen Betrieb. Wir können nun streiten, ob so was künftig „seehofern“ oder „den Ströbele machen“ heißt; die größere Zahl von weniger erfolgreichen Trotzköpfen bleibt anonym. Anfang letzten Jahres flog eine Sozialdemokratin aus dem Parlament, weil sie in der Afghanistan-Vertrauensfrage gegen Schröder … na ja, schon vergessen.

Neben der Globalisierung und Europäisierung der Politik hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) im Vorjahr einen Bedeutungsniedergang unseres nationalen Parlamentes auch damit begründet, dass das Fernsehen sich wichtiger nähme, und die Politiker es. Mal abgesehen davon, dass es im Modetrend liegt, neben Erfurt, Falschparken und schlechter Laune alles erst mal den Medien in die Schuhe zu schieben: Da ist was dran. Als neulich Andrea Fischer (Grüne) in n-tvs viel beachtetem „Grünen Salon“ Peter Scholl-Latour interviewte, hat’s keiner notiert: Politikerin interviewt Journalisten. Hatten uns die Mediengroßexperten jahrelang als drohenden GAU an die Wand gemalt, war aber nur eine interessante Sendung.

In einer Gesprächssendung kann der politische Gast um Zustimmung ringen, vielleicht Menschen überzeugen, umstimmen, ohne Manuskript reden, dem Gegner ohne Fraktionszwang begegnen, gar: seine eigene Meinung korrigieren. Sind das die Dinge, die im Parlament nicht gehen? Und wenn – wer braucht dann noch das Parlament?

Politiker könnennicht alles haben, zum Beispiel ein Amt und eine Meinung

Keine Angst. Längst dienen die Studios als verlängerter Rednerplatz, muss der Abgeordnete sich später intern für seinen Talkbeitrag rechtfertigen und peinlich auf Einhaltung vereinbarter Sprachregelungen achten. Vielleicht liegt darin eine Chance fürs Parlament. Guckt ja keiner, können wir mal auf die Sahne hauen.

Viel bedenklicher, dass der ebenfalls zornige alte Mann, der seit Jahren alles mit seiner ätzenden Parteienkritik vollweizsäckert, nun leider auch noch jede Menge Zeugen aufrufen kann. Wenn Parteien meinungsstarke und tatsächlich die Menschen repräsentierende Persönlichkeiten nur nach der Verrentung dulden; wenn der offene Dissens zu einer existenziellen Mutprobe wird, dann ist nicht Seehofer verrückt geworden, sondern alle anderen drumrum.

Die älteren und alten Jungs eint mit dem Publikum, was die anderen nur bejammern. Wie ihre Wähler und erst recht ihre Nichtwähler sind Seehofer, Lafontaine, Schmidt, von Weizsäcker und alle die, die eher im Fernsehen als im Parlament das Wort bekommen: politikverdrossen. Ist doch ein erster Schritt, den diese Politiker auf die Basis zugehen.