Verkaufrausch

In der Krise werden Zeitungen zum „Distributionskanal“. Die „Süddeutsche“ verkauft jetzt auch „feine Weine“

Wussten Sie, dass der 2000er Château Talence „der Shooting-Star in der Premières Côtes de Bordeaux“ ist? Wegen seines „geschmeidigen, festen und sehr samtigen Fundaments“. Der Ribereño hingegen schmeckt „ausgewogen und sehr mundfüllend“ und wird „seinen Weg unter den Liebhabern besonderer und feiner Gewächse machen“. So stand’s jedenfalls Samstag in der Süddeutschen Zeitung – nicht in einer „Essen & Trinken“-Beilage, sondern in einer halbseitigen Anzeige des „SZ-Shops“.

„Entdecken Sie mit der Süddeutschen Zeitung die Welt der feinen Weine!“, heißt es da. Für 49 Euro inkl. Versand und Verpackung kommt das „Weinprobe-Paket“ frei Haus. Und ein „Profi-Sommelier-Besteck“ gibt’s gratis dazu. Vermutlich wird der eine oder andere Tropfen dabei sein, mit dem man in München zaghaft darauf angestoßen hat, dass der Süddeutsche Verlag im vergangenen Jahr wieder einen klitzekleinen Gewinn erwirtschaftet hat. Für den Vollrausch hat der Jahresüberschuss von 600.000 Euro aber wohl nicht gereicht.

2004 soll wieder richtig Geld verdient werden, kündigte der Verlag am Wochenende per SZ an – trotz Anzeigenkrise. Wie das geht, ist absehbar (und im Ausland bereits erfolgreich), hat aber immer weniger mit dem traditionellen Zeitungsgeschäft zu tun. Vor zwei Monaten ist die „SZ-Bibliothek“ gestartet, deren Bücher sich inzwischen quasi von selbst verkaufen. Jetzt soll die Süddeutsche „Distributionskanal“ werden, nicht nur für Bücher, sondern auch für „andere Produkte, die zu Zeitungen passen“, kündigte Geschäftsführer Klaus Josef Lutz im Medium Magazin an. Zwei neue Projekte sind in Arbeit, zu Weihnachten könnte das erste starten – womöglich gibt’s zur Zeitung dann Filmklassiker auf DVD oder musikalische Resteverwertung per CD-Beilage. Und jetzt eben schon „feine Weine“ (sowie andere „attraktive, für Sie ausgewählte Produkte“) im Online-Shop. „Neue Erlösquellen“ heißt das im Verlagsjargon.

Zum „Kerngeschäft“ der Zeitungsverlage gehört das nicht mehr. Wenn sich Qualitätsblätter wegen fehlender Rubrikenanzeigen zukünftig aber nur noch mit Presse-Shopping über Wasser halten können – sei’s drum. Einige Lokalzeitungen sind längst zum „Multi-Purpose-Enterprise“ geworden und bieten ihren Lesern spezielle Telefon- und Stromtarife an. Dass damit auf Dauer die Unabhängigkeit der Zeitungen gefährdet ist, wird gern übersehen. Mit Kooperationspartnern, die dem Verlag einen guten Teil der Erlöse sichern, wird man sich’s in der Berichterstattung jedenfalls nur ungern verscherzen. PEER SCHADER