China verstärkt Zensur

Behörden gehen gegen weitere „vulgäre“ Webseiten vor, doch auch gegen politisch unliebsame Portale. Furcht vor Debatten zu heiklen Jahrestagen

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Chinas Behörden haben ihre Säuberungskampagne gegen „vulgäre“ Webseiten weiter verschärft. Sie veröffentlichten jetzt eine neue Liste mit 14 Web-Portalen, zur der auch die chinesische Seite von Microsofts MSN gehört. Alle sollen gegen Internet-Vorschriften verstoßen haben. Wie das Chinesische Zentrum für die Meldung illegaler Informationen im Internet mitteilte, enthielten die 14 Portale Bilder, die „gegen die öffentliche Moral verstoßen“ oder der „psychischen Gesundheit von Kindern“ schaden können. Eine erste Sünder-Liste mit 19 Providern war am Montag publiziert worden.

Kampagnen gegen Pornografie im Internet gab es in China schon mehrfach. Derzeit haben die Zensoren offenbar aber auch politisch unliebsame Webseiten im Visier. Seit gestern ist mit Bullog.cn eine der bekanntesten chinesischen Blogger-Seiten blockiert. Sie war bei vielen liberalen Chinesen beliebt. Zu den Kommentatoren, die dort publizierten, zählten auch Unterzeichner der im Dezember im Internet verbreiteten „Charta 08“. Obwohl die Zensoren das demokratische Manifest immer wieder blockieren, kursiert es weiter im Netz.

Inzwischen sollen über 7.000 Chinesen die Erklärung unterschrieben haben. Sie fordert – nach dem Vorbild der tschechoslowakischen Charta 77 von vor 32 Jahren – unter anderem Meinungs- und Religionsfreiheit, ein unabhängiges Rechtssystem, freie Wahlen und eine andere Minderheitenpolitik. Zahlreiche Unterzeichner wurden von der Polizei bedrängt, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Einer der prominentesten von ihnen, der Vorsitzende des unabhängigen PEN-Clubs von China, Liu Xiaobo, wird seit dem 8. Dezember an unbekanntem Ort in Peking festgehalten.

Die KP und die Polizei sind besorgt, weil 2009 ein schwieriges Jahr werden dürfte. Bedeutende Jahrestage stehen bevor: Dazu gehören der Aufstand in Tibet vom 10. März 1959, die Jugendproteste der sogenannten 4.-Mai-Bewegung von 1919, die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung vom Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 und der 60. Gründungstag der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949. Diese Jahrestage plus die Probleme angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise dürften die Debatten über Politik und Legitimation der KP stärker anheizen, als der Regierung recht ist.