Mit der U-Bahn durch den Thüringer Wald

Regierung baut ICE-Strecke München–Berlin. Selbst Bahnbegeisterte finden: „Stoppt das teuerste Projekt aller Zeiten!“

BERLIN taz ■ Man stelle sich vor: Von Berlin nach München in dreieinhalb Stunden! Einsteigen in den ICE, und los. Geht es nach Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD), ist die dazu nötige Hochgeschwindigkeitsstrecke spätestens 2017 gebaut. Doch die „Allianz pro Schiene“ – das ist ausgerechnet das Bündnis von Bahnfreunden wie dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) oder dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit Konzernen wie der Deutschen Bahn oder ABB – findet das gar nicht toll . Ihr Vorsitzender Norbert Hansen forderte die rot-grüne Bundesregierung gestern auf: „Macht Schluss mit den Prestigeprojekten!“

Dass er damit Gehör findet, ist jedoch fraglich. „Die Geschichte ist jetzt unumkehrbar“, hatte Stolpe erst am Freitag erklärt, nachdem er gemeinsam mit Bahnchef Hartmut Mehdorn die Finanzierung des 1,9 Milliarden Euro teuren und 122 Kilometer langen Teilstücks Erfurt–Halle besiegelt hatte.

Für Stolpe ist die Neubaustrecke ein „wichtiger Baustein für den Aufbau Ost“. Für andere ist sie die umstrittenste, da teuerste Trasse in ganz Deutschland. Etwa für Michael Gehrmann vom VCD: „Das grenzt an Schwachsinn“, kommentierte er gestern. Während Stolpe für das Projekt 4,5 Milliarden Euro veranschlagt, geht Gehrmann von rund acht Milliarden Euro Kosten aus. In jedem Fall verschlingt es einen riesigen Batzen der im aktuellen Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgesehenen 25,5 Milliarden für den Neu- und Ausbau von Schienen bis zum Jahr 2015. „Andere Strecken fallen hinten über, den Verkehr kriegen wir so nicht auf die Schiene“, sagt Hansen, der vor allem als Vorsitzender der Bahngewerkschaft Transnet bekannt ist.

Wegen der horrenden Kosten hatte auch die Bundesregierung die Strecke, die durch Orte mit so wohlklingenden Namen wie Gottesgarten am Obermain, Coburger Land und Thüringer Wald führt, schon einmal auf Eis gelegt. Damals war Franz Müntefering (SPD) Verkehrsminister. Doch zu prominent sind die Befürworter: Auf dem Ostparteitag der Sozialdemokraten im März letzten Jahres versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seinen Genossen die Strecke.

Stolpe will sie jetzt bauen, weil er sie für den Europaverkehr zwischen Stockholm und Neapel „außerordentlich bedeutend“ findet. Und für Olympia. So stellt er in Aussicht, dass die Strecke nicht erst 2017, sondern schon 2012 in Betrieb geht, wenn Leipzig die Spiele bekommen sollte.

Die jetzige Reisezeit von rund sieben Stunden zwischen Berlin und München soll dann um die Hälfte schmelzen. „Dafür fährt man mit der U-Bahn durch den Thüringer Wald“, schimpft Hansen. Die geplante Trasse ist für die Ingenieure tatsächlich eine Herausforderung: Allein für die Verbindung zwischen Halle und Erfurt sind sechs Talbrücken und drei Tunnel geplant.

Dem Vorwurf vieler Umweltschützer, „ein Natur zerstörendes Milliardengrab“ zu schaffen, hält Mehdorn aber entgegen: „Wir werden die Trassenführung umweltfreundlich gestalten und als Ausgleich Flächen renaturieren.“ Anwohner beruhigte er, es werde auch ausreichenden Lärmschutz geben.

Wenig Chancen hat da voraussichtlich die Alternative, die Hansen und Gehrmann ins Spiel brachten: „Baut bestehende Strecken wie die Frankenwaldbahn aus!“ Dabei haben sie gute Argumente – Kosten: 2,8 Milliarden Euro, Bauzeit: drei Jahre, künftige Reisedauer: vier Stunden.

HANNA GERSMANN