Hamburg für Kieferorthopäden

Ex-„Zeit“-Herausgeber Theo Sommer schrieb ein Buch über die Hansestadt - eine in Fließtext verwandelte Statistik, die ganz nebenbei mit dem rot-grünen Senat abrechnet, die Elbvertiefung propagiert, aber die immerhin noch existierenden 145.000 Arbeitsplätze im Hafen geflissentlich verschweigt

von Christian T. Schön

Heine tat‘s. Fontane tat‘s. Tucholsky tat‘s. Und sie überschlugen sich im Taumel, den die „beste Republik“ (Heine), die „schönste Stadt“ (Tucholsky) in ihren Herzen loseiste, wenn sie über Hamburg schrieben. Auch ein „Editor-at-Large“ wie der Ex-Zeit-Herausgeber Theo Sommer, der sich selbst als „angelernten Hamburger“ bezeichnet, tut‘s. Eine „großartige Stadt“ heißt es bei ihm in seinem jüngst erschienen „Hamburg“-Buch in Anlehnung an Tucholsky, die so „lebendig, mit Gefühl und Anstand, voller prächtiger Menschen“ sei.

Theo Sommer schreibt für Kieferorthopäden. Das gibt er offen zu. Auf einem Ärztekongress vor zwei Jahren kam ihm die Idee zu Hamburg – Weltstadt im Wellengang der Zeiten, das in diesem Frühjahr erschien. Mit sechs „Grundlinien“ spannt Sommer einen chronologischen Bogen über die Stadt: Stolz, Unabhängigkeit, Handel und Verhandlungsgeschick. Bereits Grundlinie Nr. 3 lässt, medizinischer Hilfe zum Trotz, die Kinnlade herunterklappen, verehrt der ehemalige Bundeswehr-Kommissar die Auferstehungskraft der Stadt nach dem Großen Brand 1842 und den „Bombennächten“ 1943 doch euphorisch mit den Worten: „Nach jeder Katastrophe wurde die Stadt neu aufgebaut, wurde sie schöner, moderner, liebenswerter und lebenswerter.“ Ein hoher Preis.

Den Schweißgeruch des Hafens reibt er dem Leser allerdings nicht unter die Nase, eher den Duft von Bohnenkaffee, serviert im noblen Handelskontor. Bürgermitsprache (Grundlinie Nr. 5) lässt er zwar im 15. Jahrhundert gelten, doch im Schlusskapitel reüssieren bei Theo Sommer wieder die alteingesessenen Kaufmänner und Senatoren, die „HafenCity“, Olympia-Bewerbung, Elb-Querung, DASA- und Hafenausbau durchboxen.

Zwischen diesen Grundlinien und einer Abrechnung mit dem SPD/GAL-Senat („Vetokratie“) reiht Sommer Aufzählung an Aufzählung und Zahl an Zahl wie bei einer Gebiss-Inventur. Der Spezialist für Verteidigungspolitik verwandelt Statistiken in Fließtext. Seitenlang referiert er zum Beispiel die 31 Ehrenbürger der Stadt und führt die Vorreiter-Rolle Hamburgs ins Feld: 1912 gab es hier die erste Taxirufsäule der Welt, 1927 die erste Zapfsäulen-Tankstelle Deutschlands.

Das Kapitel „Gegenwart und Zukunft“ besteht aus einer Liste in Hamburg ansässiger Firmen, Medienkonzerne (und ihrer Publikationen!) und Stiftungen. Eine Aufzählung der 145.000 Arbeitsplätze im Hafen dagegen fehlt. Etwas lebendiger wird der Bericht nur, wenn Sommer vom exklusiven „Matthiae-Mahl“ im Rathaus erzählt. Oder seinen Vorwort-Schreiber und Freund Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt als „Hamburger reinsten Wassers“ oder „Unentwegten“ ins Bild schiebt.

Das vom Verlag versprochene „Lesevergnügen“ ersäuft nach und nach in akribischer Presseamts-Prosa. Hätte der Senat sein Staatswappen über die Tilde unter den Seitenzahlen geklebt und als Werbebroschüre vertrieben – der Unterschied wäre nicht aufgefallen.

Theo Sommer: Hamburg, Hoffmann & Campe 2004, 240 S., 16,90 Euro