EU-VERFASSUNG: VERHÄNGNISVOLLE EINSTIMMIGKEIT
: Die Kuhhändler melden sich zurück

Als Glücksfall für den Verfassungsprozess ist die irische Ratspräsidentschaft bislang empfunden worden. Das unter italienischem Vorsitz schon totgeglaubte Projekt schien eine zweite Chance zu erhalten. Bertie Ahern, der Regierungschef in Dublin, wird ob seines diplomatischen Geschicks immer öfter als künftiger Kommissionspräsident ins Gespräch gebracht. Doch je näher die Stunde der Wahrheit beim EU-Gipfeltreffen Mitte Juni rückt, desto zweifelhafter wird, ob er sein Ziel erreicht.

Man mag über die Frage, ob die Verfassung ins Katalanische übersetzt werden soll und ob der EU-Gesundheitskommissar auch Anti-Raucher-Gesetze erlassen darf, die Achseln zucken. Solche Details gefährden das große Projekt nicht. Aber inzwischen werden auch die Grundsatzfragen wieder ganz neu aufgerollt. Wenn Großbritannien nun verlangt, dass die EU-Finanzplanung weiter einstimmig erfolgen muss, dann bleibt es beim Kuhhandel, der schon in der Vergangenheit das Image der Gemeinschaftspolitik schwer beschädigt hat. Denn Einstimmigkeit bedeutet ja nichts anderes, als dass ein einzelnes Land alle anderen blockieren kann; auch aus ganz egoistischen Gründen. In der Vergangenheit ist es oft vorgekommen, dass das Veto missbraucht wurde, nach dem Motto: Wenn du meine Zustimmung für deine Strukturförderung brauchst, verlange ich dafür deine Unterstützung für meine Agrarsubventionen. Solche taktischen Mauscheleien haben immer wieder zu absurden Verhandlungsergebnissen geführt und der Glaubwürdigkeit der EU-Politik geschadet.

Deshalb war die Ausdehnung der Politikbereiche, in denen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden konnte, eine Schlüsselfrage bei den Verhandlungen zum Nizza-Vertrag. Sie sind hauptsächlich gescheitert, weil die nationalen Regierungen sich vom Erpressungsinstrument Veto nicht trennen wollten. Bertie Ahern hat jetzt nur noch eine Chance: Es muss ihm gelingen, seine Kollegen beim Juni-Gipfel auf eine konstruktive Alles-oder-nichts-Haltung einzuschwören. Sonst wird die neue Verfassung schlechter als der Nizza-Vertrag.

DANIELA WEINGÄRTNER