Geschafft: Heiner Müller jetzt tot

Eine lange Reihe von Verehrern nahm dem Dramatiker beim Heiner-Müller-Marathon in der Akademie der Künste die letzten Relevanzreste. Jeder durfte ein paar zusammenhanglose Sätze vorlesen – das sollte „Spannung“ erzeugen und war nur dumm

VON JÖRG SUNDERMEIER

Heiner Müller lehrte, dass nichts bleibt, wie es ist, insofern muss man sich nicht wundern, wenn auch sein Werk nicht geblieben ist, was es war, als er vor 13 Jahren starb. Im Suhrkamp Verlag erschien nach seinem Tod eine Ausgabe aller Stücke, Gedichte und Prosatexte, auch der Nachlass wurde dafür eingehend gesichtet und erstmals veröffentlicht. Anlässlich des 80. Geburtstages, den Müller dieser Tage hätte feiern können, erschienen nun die letzten drei Bände dieser zwölfbändigen Werkausgabe, in ihnen finden sich alle die Gespräche und Interviews, die Müller in seinen letzten Lebensjahren immer häufiger führte.

Schon diese letzten Gespräche, in denen sich Müller angesichts seiner Schreibkrise geradezu manisch vergrub, bildeten ein Loch. In dieses Loch konnte man nach seinem Tod die Werkausgabe hineinlassen – da in ihr das bei Müller sonst so wichtige „Material“ fehlt. Da sie nur noch „das Werk“ präsentiert, bildet sie eine Art Sarg, aus dem man die Texte Müllers geradezu hervorzerren muss, um verstehen zu können, warum an Müllers Todestag eben nicht nur die berufsmäßigen Theaterfreunde so sehr betroffen waren.

Auch die Akademie der Künste sah sich am Freitag verpflichtet, den ehemaligen Präsidenten der Ost-Akademie zu ehren, und veranstaltete ausgerechnet in den Räumen der früheren Akademie-West ein Spektakel, mit der ihr nichts weniger gelang, als zentnerweise Erde auf den Sarg zu schaufeln, sodass Heiner Müllers Beerdigung nun endlich als abgeschlossen gelten kann. Man schuf sich aus passend zurechtgestutzten Werkfetzen einen Klassiker, den man in sein Klassikergrab sperrte.

Es begann nicht schlecht

Dabei begann der Abend unter dem Titel „Die Menschheit braucht ein neues Wozu“ nicht einmal schlecht, Thomas Langhoff las einen Text von Elfriede Jelinek, in dem sich die Kollegin mit dem Dramatiker auseinandersetzt, respektvoll, aber stets Distanz wahrend. Die anschließende, von Hans Neuenfels inszenierte szenische Lesung war jedoch ein Graus. Eine handverlesene Schar mehr oder minder Prominenter betrat die Bühne und las im getragenen Ton Auszüge aus den Gesprächen, die Müller seit 1989 geführt hatte. Es lasen Christina von Braun oder Klaus Theweleit, aber auch Wolfgang Thierse, Alice Ströver oder Gregor Gysi. Jedes Mal, wenn einer auf der Bühne die Stimme hob, leuchtete sein Name im Hintergrund auf.

Dass die prominenten oder semiprominenten Zeitgenossen noch einmal extra vorgestellt wurden, zeigte zweierlei: Die Organisatoren des Abends hatten darauf gehofft, dass Namen wie Elke Heidenreich oder Christoph Markschies sowohl ein akademisches als auch ein Fernsehpublikum anziehen würden. Diese Rechnung ging auf, nicht nur war der große Saal ausverkauft, nein, auch um die Fernseher und die Leinwand im Barbereich, auf denen die Veranstaltung live gescreent wurde, hatte sich noch mal eine Unmenge von Leuten gruppiert. Außerdem wollten die Organisatoren, wie Thomas Langhoff nach der Lesung erläuterte, eine Spannung erzeugen, indem sie die handverlesenen Gäste Müller-Aussagen lesen ließen, denen sie sicher nicht immer zustimmen konnten.

Wenn also etwa der Rechtsanwalt und Mäzen Peter Raue, der nicht gerade als Bolschewist bekannt ist, Müllers Auslassungen zum Marxismus vorlesen musste, hätte Raue vielleicht auch einen Kommentar dazu gehabt, der bemerkenswert gewesen wäre. Doch las er, wie alle, den Gesprächsfetzen, der ihm zugeteilt worden war, wie ein Gedicht oder ein Märchen, weihevoll, ruhig, und verließ hernach, ebenfalls wie alle, die Bühne. Eine Auseinandersetzung fand nicht statt, das, was Langhoff sich „spannend“ vorgestellt hatte, blieb öde, musste öde bleiben.

Schlimmer noch waren die Gesprächsauszüge, die verlesen und wie Proben der Müller-Dichtkunst vorgestellt wurden. Doch das sind sie eben nicht. Sosehr es Müller auch stets gelang, seine Gesprächsbeiträge mit Aperçus und überraschenden Gedanken zu würzen, so wenig sind diese einzelnen Beiträge selbst für literarische Texte zu nehmen. Er selbst wies schon in seiner Autobiografie, die aus Gesprächsteilen zusammengesetzt und überarbeitet worden ist, darauf hin, dass es ihm nicht gelungen sei, aus diesen Texten Literatur zu machen.

In den Gesprächen nun gab Müller Kostproben seines wilden Denkens, er assoziierte, spielte mit Worten und Gedanken und stellte diese versuchshalber in den Raum. Ein solches Gesprächsprotokoll liest sich oft mit großem Gewinn. Nimmt man aber einzelne Teile und Teilchen heraus, trennt man die Antworten von den Fragen und enthebt sie dem Gesprächskontext, so sind diese Antworten nicht selten nur noch Dummheiten. Müllers nicht eben großer Geistesblitz, dass alle Intellektuellen eigentlich Juden seien, Müllers Invektiven gegen McDonald’s oder seine Verklärung des Computers mögen hinreichen, um eine spektakelsüchtige Meute zu unterhalten, so präsentiert stellen sie Heiner Müller eben auch als Blödmann vor.

Es endete grässlich

Und vielleicht war das auch beabsichtigt. Als beim anschließenden Sektempfang David Bathrick noch die Werkausgabe loben wollte, als Müllers Witwe noch ein paar Worte sprechen wollte, ging dieses völlig im Gesprächslärm unter. Die Organisatoren des Abends können sich darüber nicht beschweren, sie haben sich die Leute selbst ins Haus geholt. Müller jedenfalls ist endgültig beerdigt. Doch zeigt sich im Theater, wenn man Glück hat, manchmal sein Gespenst.