pampuchs tagebuch
: Urgestein mit Gänseblümchen

Es war einer jener Gutfühl-Abende, wie sie das inzwischen ziemlich berühmte Münchner Tollwood-Sommerfestival immer noch bieten kann. Nicht nur dass herrliches Biergartenwetter herrschte – in den letzten Jahren wurde mit dem Ökofest meistens die bayerische Regenzeit eingeläutet –, dazu kam, dass im „Musik-Arena-Zelt“ einer jener Barden aufspielte, der schon vor 35 Jahren mit den richtigen Ansichten für gute Stimmung gesorgt hatte. Das ist bei Arlo Guthrie kein Kunststück, war doch sein Vater Woody so etwas wie der Erfinder des politisch aufmöbelnden Folksongs, auf dessen Gitarre das schöne Motto „This machine kills fascists“ stand.

 Analog das alles. Anlass des Konzerts auf dem Tollwood war eine politisch wie ökologisch höchst saubere Aktion, wie man sie dem einstigen Alternativfestival gar nicht mehr zugetraut hätte: ein Benefizsingen für den „Nuclear-Free Future Award“, der demnächst zum sechsten Mal an Menschen vergeben wird, die sich für eine Welt ohne Atomwaffen und Atomenergie einsetzen. Die Idee für den Preis – je 5.000 Euro für die Kategorien Widerstand, Aufklärung, Lösungen sowie einen Ehrenpreis für ein Lebenswerk – stammt von dem Münchner Journalisten und Indianerexperten Claus Biegert, der seit Jahr und Tag an der Überwindung jenes „kollektiven Irrtums“ arbeitet, der sich stolz „Atomzeitalter“ nennt.

 Bereits vor einer Dekade organisierte Biegert das „World Uranium Hearing“. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Die Mehrzahl der in „globalen Opfergebieten“ lebenden Menschen sind Angehörige indigener Völker – von Alaska bis Australien. Diesen bedrohten Völkern und damit allen zu helfen war der Zweck des Hearings, aus dessen Geist der Nuclear-Free Future Award entstand. Arlo Guthrie war in Salzburg dabei. Und jetzt wieder, „11 years after, weißt du noch?“. Wie die Zähne der Zeit den Einzelnen (und der Sache) mitgespielt haben. Global gesehen.

 Aber auch graue Urgesteine wie Guthrie und Biegert wollen (müssen?) sich den modernen Erfordernissen anpassen. Auch gegen den Atomstrom geht es nicht mehr ohne Website – und im Showgeschäft schon gar nicht. Besonders überzeugend geraten sind allerdings weder noch. Es gehört vielleicht zu den sympathischen Eigenheiten von verdienten Altaktivisten, dass sie live oder auf Papier einfach besser sind als im Netz. Dass Arlo seine alten Texte, eine Diskografie und eine „official oughtabiography“ ins Netz stellt: fein. Aber schon die über den verlinkten Online-Giftshop „getstuff“ angebotenen Arlo-Bumperstickers, Arlo-Tattoos und Arlo-Gänseblümchensamen (Typ „Hippie Starter Kit“) haben etwas leicht Peinliches. Ist das die moderne Version von „You can get anything you want?“. Da ist uns Arlo im Duett mit den Dubliners auf der Bühne doch lieber.

 Und Biegerts Website? Als Dokumentenmappe zu den Preisträgern der vergangenen Jahre durchaus brauchbar, ansonsten ein ziemlicher Verhau, dem eine Aktualisierung nicht schlecht täte. Offensichtlich hat man im NFF-Büro derzeit Besseres zu tun, als die Website zu polieren. Ist ja kein schlechtes Zeichen. Die Preise für 2003 werden am 12. Oktober im Alten Rathaus zu München vergeben. Die Gewinnerliste gibt die international besetzte Jury im September bekannt. Vielleicht auch im Netz. Wenn nicht, singt sie Arlo Guthrie vor.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com