Lammert gegen Euros

Bundestagsvize Lammert (CDU) ist unfroh über eine EU-Förderung nach 2006. Ohne Einheit könnte das Revier die Zukunft hinter sich haben

„Dass nach 2006 eine EU-Förderung für das Ruhrgebiet erwogen wird, stimmt mich nicht nur fröhlich“

AUS ESSENCHRISTOPH SCHURIAN

Ein Saal im noblen Essener Sheraton, in feinem Zwirn rund vierzig Mitglieder des Wirtschaftsrates der CDU, Sektion Essen und ein Ehrengast: Norbert Lammert, Vizepräsident des Bundestages und Chef der Ruhr-CDU. Vor Fleisch auf Kartoffelpuffern hielt Marathonläufer Lammert seinen Vortrag in 25 Minuten: eine „sportliche Herausforderung“, und so stürzte er sich auch aufs Ruhrgebiet. Einigen wird es den Appetit verhagelt haben. Ein düsteres Szenario.

Das Ruhrgebiet sei die große Wachstumsbremse in Nordrhein-Westfalen: „Seit 25 Jahren liegen hier die Wachstumraten notorisch unter dem Durchschnitt “. Im Gegenzug sei die Arbeitslosigkeit weit höher als andernorts. Woran das liege? Es gebe im Ruhrgebiet eine „heimlich und unheimliche Koalition“ aus Industrie, Gewerkschaften, Politik und Kirche, die den Strukturwandel seit 20 Jahren so weit abfedern wollten, das ihn kaum jemand bemerkt habe. „So wird das Ruhrgebiet immer noch als großes europäisches Industriegebiet wahrgenommen“ – dabei entfielen in Essen beispielsweise kaum 20 Prozent der Wirtschaft auf die Produktion. Die einst mächtige Montanindustrie nehme im Ruhrgebiet längst nur eine Minderheitenrolle ein –„trotzdem findet um sie ein Tanz statt wie ums goldene Kalb“, sagte Lammert.

Vor allem durch die deutsche Einheit und den EU-Binnenmarkt sei das Ruhrgebiet ins Hintertreffen geraten: „Die letzte große bundesweite Ruhrgebietskonferenz fand 1989 unter Helmut Kohl statt, vor der Einheit“, erinnert sich der einstige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium – danach wäre das vermutlich nicht mehr zu vermitteln gewesen. Und die Einführung des EU-Binnenmarktes Anfang der 1990er Jahre habe dann dazu geführt, dass Wirtschaftsunternehmen längst über die nationalen Grenzen blickten, ihre Standorte nicht mehr lokal oder regional aussuchten, sondern dort, wo die besten Bedingungen geboten werden: „Die Wirtschaft agiert auf einem vergrößerten Spielfeld, das Ruhrgebiet steckt in einem gnadenlosen Wettbewerb!“

Und dabei gehe es beileibe nicht allein um die europäische Wirtschaftsförderung, die aus Brüssel ins Ruhrgebiet fließe. Der Förderung durch die EU- Kommission steht Lammert kritisch gegenüber: Er entsinne sich vieler „Nächte der langen Messer“ im Bundeswirtschaftsministerium, wo Ministerpräsidenten um ihre Förderregionen gekämpft hätten. Als dann klar war, dass Baden-Württemberg keine Förderung mehr erhalte, sei Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) vor die Presse getreten mit dem Motto: „Endlich, wir haben es geschafft!“ – dass die EU-Kommission nun wiederum eine Revier-Förderung nach 2006 in Aussicht stellt, „stimmt mich nicht nur fröhlich“, sagte Lammert. Im Juni werde die NRW-Bundestagsgruppe der CDU dazu eine Konferenz abhalten: „Das Ruhrgebiet muss sich von seiner Defensivstrategie verabschieden, es steht längst in Konkurrenz mit den Großräumen Mailand oder Frankfurt/Main.“

Der sich im Herbst konstituierende Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) könne das nicht verbessern: „Dem RVR fehlt die Planungskompetenz.“ Die Zwangsmitgliedschaft der Oberbürgermeister im RVR führe nicht zu Regionalbewusstsein, die Möglichkeit als Kommune 2009 aus dem Verband auszutreten, werde wie eine „institutionalisierte Drohgebärde“ wirken.