Phaenomenal in Wolfsburg

Halb Kathedrale, halb Raumschiff: Heute ist Richtfest für „Phaeno“, das neue Science-Center in VW-City

Aus Wolfsburg Kai Schöneberg

Beißend wie der Schweiß der Malocher, öde wie das Design von Polo, Passat und das Stampfen der Fertigungslinien – so ganz wird die Stadt im Aller-Urstromtal den Ruch des Durchschnitts wohl nicht verlieren können. Der Charme von Leverkusen herrscht in den Einkaufs-Containern der Porschestraße, die Fußgängerzone und zentrale Nord-Süd-Achse von Wolfsburg ist. Am Bahnhof stehen die freundlichen Abholer der Autostadt, am Hugo-Bork-Platz spielen Ex-VWler Großschach inmitten von Einkaufs-Containern mit T-Punkt, Eiskaffee Roma, Springbrunnen und einer „City-Galerie“.

Wolfsburg ist anders als andere Großstädte. In Wolfsburg haben alle ein Auto. Alle begrüßen sich arbeitermäßig mit Handschlag, niemand geht über rote Ampeln. Wolfsburg, das nur wegen des Erfolgs des von Ferdinand Porsche entworfenen Käfers existiert, hängt am Tropf einer Autofabrik, die sich in sagenhaften 1,5 Kilometer Länge auf der anderen Seite des Mittellandkanals dahinschleppt. Wolfsburg, 1938 als „Kraft durch Freude-Stadt bei Fallersleben“ gegründet, ist bislang nur Standort, Retorte total. Bis auf das Schloss gibt es nichts, was älter als 60 Jahre ist. Aber: Wolfsburg bewegt sich. Autostadt, Auto-Universität, VW-Arena, gerade ist Landesgartenschau – außerdem werkelt die Stadt sogar an einer neuen Ski-Indoor-Anlage, 50 Kilometer vom Harz entfernt. Heute ist außerdem Richtfest für eines der phänomenalsten Gebäude, dass derzeit in Europa hochgezogen wird: Das Phaeno. 1.200 Gäste sollen zur Inkarnation des Phaeno kommen.

Schon wieder ein Science Center. Über 1.000 der Wissens-Kästen, in denen gescheiterte Physik-Schüler was über Blitze oder Schwerkraft erfahren, in denen Mathe-Hasser noch mal am Satz des Pytagoras scheitern können, soll es weltweit geben. Aber wohl nur wenige strotzen derart vor Architektur. Mit dem Sichtbeton-Bau von Zaha Hadid, die Ende Mai mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wird, sprengt sich VW-City in die 1. Liga der deutschen Architektur-Standorte. Ein „radikales, kompromissloses, atemberaubendes Haus“, schrieb die Süddeutsche entrückt, in Wolfsburg kursieren Vergleiche mit dem Guggenheim in Bilbao oder dem Jüdischen Museum in Berlin. In Wirklichkeit hat die Stararchitektin wohl eher bei den Raumschiffen von Krieg der Sterne gewildert. Dementsprechend scheint die Museumsplatte aus Hadids Londoner Büro durch die niedersächsische Tiefebene zu schweben wie die imperiale Flotte durch die Weiten des unendlichen Hyperraums. Unterhalb der 5.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche entsteht ein öffentlich zugänglicher Raum, eingezäunt von zehn kathedralischen Säulen – das hat was von Gaudís Parque Güell in Barcelona.

Schade, dass das verwegen-mysteriöse Vieleck direkt zwischen den 50er-Jahre Klinker-Bahnhof und die Bahnstrecke geklebt werden musste. Allerdings macht selbst das Sinn. Die Zeit, in denen sich WOB vom alles überragenden Werk abwandte, ist vorbei. Seit der Eröffnung der Autostadt in unmittelbarer Werksnähe fehlt ein Bindeglied zur City. Ab Ende 2005, wenn das Phaeno eröffnet werden soll, werden die meisten der jährlich zwei Millionen Autostadt-Besucher vom Bahnhof am oder unter dem Science-Tempel her zur VW-Schau auf der anderen Seite des Kanals marschieren. Da ärgern sich die Wolfsburger auch nicht mehr gar so sehr über die enormen Kostensteigerungen von 49 auf mittlerweile 61 Millionen Euro, die die Stadt trägt.

Die WOBler sprechen eh von konjunkturgesteuerter Stadtentwicklung, besser: von VW gesteuerter Stadtentwicklung. 53.000 Arbeitsplätze bietet das Werk, bei 125.000 Einwohnern. Stottern Golf & Co, schlottert Wolfsburg. Der Zyklus verheißt abwechselnd fünf Jahre Baisse, fünf Jahre Hausse. So entstand bislang etwa ungefähr jede Dekade ein neues Kulturprojekt, bei dem VW meist finanziell mitmischte: Von 1958 bis 62 das Kulturhaus des finnischen Architekten Alvar Aalto, von 1965 bis 1973 das Scharoun-Theater. Dann, nach Ölkrise und Anlaufschwierigkeiten des neuen Golf erst von 1989 bis 94 das Kunstmuseum. Seit 1998, als es dem VWlern noch gut ging, wird bereits am Phaeno geplant. Zur Zeit ist Krise. VW-Personalvorstand Peter Hartz bastelt gerade mit den Gewerkschaften an einem Konzept, wie die 177.000 VW-Jobs in Deutschland zu halten sind. Ein Drittel der Lohnkosten soll dafür fallen. Im vergangenen Jahr überwies der viertgrößte Autokonzern der Welt erstmals keine Gewerbesteuer ins Stadtsäckel. Diesmal dürfte es wohl länger dauern, bis sich VW zu einem neuen Koloss der Kulturen entschließt.

Im Sommer starten an jedem zweiten Sonntag um 14 Uhr Führungen über die Phaeno-Baustelle.