Clement geht auf die Walz

Er will die Ausbildungsumlage verhindern. Dafür begibt sich der Wirtschaftsminister sogar auf Tour – um der Wirtschaft genügend Lehrstellen aus dem Kreuz zu leiern

BERLIN taz ■ Er ist Ausdauerläufer – jeden Morgen steht Wolfgang Clement um sechs Uhr auf und trabt durch den Tiergarten. Anschließend duscht er im Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten. An diesem Mittwoch hat der 63-jährige die Joggingschuhe längst wieder beiseite gestellt und tritt, in dunkles Tuch gekleidet, vor die Tore seines Ministeriums in der Scharnhorststraße in Berlin-Mitte. Der Anzug täuscht – Clement ist noch immer im Rennen, jetzt geht er auf Aufholjagd.

Er will gegen die Herausforderer aus den eigenen Reihen gewinnen, Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und SPD-Parteichef Franz Müntefering, die das Gesetz zur Ausbildungsplatzabgabe gefordert und letzte Woche im Bundestag durchgefochten haben. Clement hat das Gesetz stets abgelehnt – er setzt auf freiwilliges Engagement der Wirtschaft. „Das ist ein Wettbewerb, alle, die es behauptet haben, müssen das jetzt beweisen“, sagt Clement. Nach Gesprächen mit Ludwig Georg Braun, dem Chef des Industrie- und Handelskammertags, ist er überzeugt, dass ein Pakt zustande kommt: „in den nächsten Tagen oder Wochen“. Bis zum Herbst müssen 180.000 fehlende Lehrstellen zusammenkommen. Gehen wieder tausende Schulabgänger wie im Vorjahr leer aus, will die Bundesregierung das Gesetz auslösen.

Um das zu verhindern, schwingt sich Clement jetzt in einen Bus mit der Aufschrift „Wolfgang Clement on Tour“. Begleitet von einem Tross Journalisten, Beratern und Verbandsleuten, fährt der Minister persönlich bei Unternehmen vor. Allerdings nach der Kollegin Bulmahn, die schon seit einer Woche unterwegs ist und ihrerseits um Lehrstellen buhlt. Medial überholt Clement sie spielend. Bulmahn startete unbeachtet in Teltow bei Berlin, Clement hingegen im Herzen der Hauptstadt, direkt am Hackeschen Markt. Hier lässt er sich von Johannes B. Kerner ankündigen und von „Tatort“-Kommissar Klaus J. Behrendt bewirten.

Vier Unternehmen stehen zum Auftakt auf seinem Tourneeplan, die alle bereits emsig ausbilden. Clement aber meint: „Es ist doch gut, wenn sie noch eine Schippe drauflegen.“ Außerdem will er Optimismus verbreiten, zeigen, dass die Wirtschaft nicht so schlecht ist wie ihr Ruf. „Und bei denen, die nicht ausbilden, wird man ja auch nicht eingeladen“, sagt er und lässt Kräuterbonbons im Mund zerbersten.

In den Vorzeigebetrieben empfängt man ihn freundlich wie einen Großkunden. Vor dem Eingang des Metro-Marktes erwartet ihn die Geschäftsleitung. Drinnen haben sich alle ehemaligen Auszubildenden das Hauses vor der Haushaltsabteilung aufgestellt. Clement streift durch die Regalreihen und spricht mit den Lehrlingen. Damit er sie nicht verfehlt, haben sie knallgelbe Pullover an und Order erhalten, in seiner Nähe zu bleiben. So gehen Clement nie die Lehrlinge aus.

Bei der Deutschen Bank überreichen die Azubis dem Minister eine eingewickelte Chronik der Bank. Aus dem Geldinstitut rauscht Clement zu Fuß über die Straße Unter den Linden zum Kulturkaufhaus Dussmann. Ein Bus mit Rentnern muss warten – Azubis haben Vorfahrt. „Wir müssen allen jungen Leuten, die das wollen und können, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen“, wirbt der Minister bei jeder Gelegenheit. Im Gesundbrunnen-Center im Wedding schiebt er sich unbeachtet durch das Gedränge der Feierabendeinkäufer zum „Nanu Nana“-Laden. „Wer is ’n der Typ“, wollen zwei türkische Teenager wissen. Das sei der Wirtschaftsminister Clement. „Ah, Clement, alles klar?“ – „Alles klar“, antwortet der.

413 zusätzliche Ausbildungsplätze hat Clement eingeworben und ist zufrieden. Um die Konjunktur anzukurbeln, kauft er einen Bilderrahmen. Die Traumfänger, die neben seinem Kopf schaukeln, beachtet er nicht.

ANNA LEHMANN