(Anti-) Kriegsfotograf

Es begann mit den Fotos aus dem Vietnamkrieg. Mit der Wirkung, die sie auf die Öffentlichkeit und schließlich auch auf die US-Regierung hatten. James Nachtwey wusste auf einmal, was er werden wollte: Fotograf. Das war Anfang der Siebziger, und Nachtwey, geboren 1948, hatte gerade sein Studium der Kunstgeschichte und Politikwissenschaft abgeschlossen. Als Fotograf ist er Autodidakt. Seine Vorbilder: Henri Cartier-Bresson, Gene Smith, Josef Koudelka, Don McCullin.

Nachdem Nachtwey mehrere Jahre für eine Lokalzeitung in New Mexico fotografiert hatte, ging er 1980 als freier Fotograf nach New York. Ein Jahr später erhielt er den ersten Auslandsauftrag: eine Reportage über IRA-Häftlinge in Belfast. Heute kann Nachtwey von sich behaupten, fast alles dokumentiert zu haben, was die „zivilisierte“ Welt an Pervertiertheit anbietet: die Heime für „unheilbare“ Waisenkinder in Rumänien, ethnische Säuberung in Bosnien, verhungernde Somalis und Sudanesen, Völkermord und Cholera in Ruanda, die Ruine des World Trade Center (www.jamesnachtwey.com).

„Ich wurde Fotograf, um Kriegsfotograf zu sein“, hört man Nachtwey in der Dokumentation „War Photographer“ sagen. Der preisgekrönte Film von Christian Frei machte Nachtwey einem größeren Publikum bekannt. Er zeichnet das Bild eines einsamen Helden, der mit chirurgischer Präzision arbeitet. Den Arztvergleich hat auch Nachtwey selbst schon bemüht als Antwort auf die Frage, wie er angesichts dieses endlosen Elends die Fassung behalte: Ein Verletzter habe auch nichts von einem Arzt, der sich angeekelt abwende.

Der Film zeigt auch das Dilemma, in dem Nachtwey steckt: Besessen vom Glauben, wenn nur genügend Menschen Fotos wie die seinen sähen, könne ein Umdenken bewirkt werden, braucht er ein Massenpublikum, das nach schönen Bildern verlangt. Kritiker Nachtweys werfen ihm Ästhetisierung vor. Der Betrachter werde geschont durch die Verwendung von Schwarzweißfilmen und ein Bildarrangement, das der Widerwärtigkeit der abgelichteten Situation widerspreche. Nachtwey hält dagegen, man solle sich auf das fotografierte Subjekt und dessen Leid konzentrieren, nicht auf einen künstlerischen Rahmen.

Zwei Drittel des Jahres verbringt Nachtwey in Krisengebieten und Elendsvierteln unserer Welt, meist für das Time Magazine. Dort erschien im Dezember 2003 seine preisgekrönte wie stark kritisierte Fotostrecke „A soldier’s life“, die den Alltag eines Zuges der US-Armee in Bagdad dokumentiert. Nachtwey wurde im Dezember im Irak selbst verletzt, als eine Handgranate in den Wagen geschleudert wurde, in dem er mit Kollegen saß.

Die Arbeit des Fotografen wurde mehrfach mit Preisen wie der Robert Capa Medaille und dem World Press Photo Award ausgezeichnet. Kürzlich nahm Nachtwey in Leipzig für sein Lebenswerk den Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig entgegen. Dort ist noch bis zum 30. Mai eine Ausstellung mit 132 seiner Fotos zu sehen – aus fast allen Krisenregionen der vergangenen zwanzig Jahre. ANETT KELLER

Kunsthalle der Sparkasse Leipzig, Otto-Schill-Str. 4 a; dienstags bis freitags 15 bis 18 Uhr, sonnabends und sonntags 11 bis 16 Uhr