Debrecen statt Kamp-Lintfort

Die Abbaupläne von Siemens werden nun konkret: Die Chefetage will bis Juli über einen Wegzug aus Bocholt und Kamp-Lintfort nach Ungarn entscheiden. Für die Städte ist das der Supergau

AUS BOCHOLTALEXANDER FLORIÉ

Die Zukunft der beiden Handy-Produktionsstandorte in Bocholt und Kamp-Lintfort sieht düster aus. Nach den am Montag und Dienstag vollzogenen Gesprächen zwischen Gesamtbetriebsrat, den Betriebsräten vor Ort und der Konzernspitze in Kamp-Lintfort hat sich die Prognose der Betriebsräte und Gewerkschaften weiter verschlechtert. „Wir stehen unter einem irrsinnigen Zeitdruck“, sagte der IG-Metall-Bevollmächtigte Ulrich Marschner in Kamp-Lintfort. Bestätigt wurde der Wille zur Verlagerung der Massenfertigung nach Ungarn: „Das Unternehmen überlegt, in Debrecen an der ungarisch-rumänischen Grenze einen eigenen Siemens-Standort aufzubauen“, so der Kamp-Lintforter Siemens-Betriebsrat, Josef Michael Leuker. „Die waren glänzend vorbereitet. Die meinen das ernst“, meinte der Bocholter Metaller Heinz Cholewa in Bocholt.

Nachdem der Wirtschaftsausschuss von Siemens am 31. März die grundlegende Entscheidung für die Verlagerung getroffen hatte, ist Mitte Juli endgültig Deadline für die rund 4.300 Mitarbeiter an beiden Standorten. Dann will die Siemens AG über die Investition in Ungarn entscheiden. Vorher soll es aber am 10. Juni noch einmal Gespräche aller Beteiligten geben. Bis dahin müssen die von den Betriebsräten und Gewerkschaftlern engagierten Wirtschaftsprüfer Ernest & Young aus Essen die von Siemens vorgelegten Betriebszahlen geprüft und Alternativvorschläge parat haben: „Wenn man Verhandlungen ernst nimmt, dann braucht man dafür vier bis sechs Monate“, so Marschner. Es sei „eine perverse Situation“ entstanden: „Wir dürfen prüfen und Siemens betreibt weiter die Verlagerung“ , kritisiert der IG-Metall-Funktionär. Verhandlungen auf Augenhöhe seien das nicht.

Der Kamp-Lintforter Bürgermeister Christoph Landscheid hat dafür nur noch ein Wort: „Eiskalt.“ Für ihn ist das Szenario beim zweitgrößten Arbeitgeber der Stadt der definitive „Super-GAU“. Ob bei den Standorten dann noch Arbeitsplätze bleiben, ist unklar. Nach Informationen der Kamp-Lintforter Gewerkschaft sollen an beiden Standorten zwei „Innovationscenter“ mit jeweils 900 Mitarbeitern verbleiben – die Bocholter gehen nur von einem aus: „Und der kann auch in Bielefeld oder sonstwo liegen“, meint Cholewa. Man werde nächste Woche drei Tage lang nach Ungarn fahren und prüfen, „ob da überhaupt genug Facharbeiter für so eine Geschichte vorhanden sind“, so Marschner. Dann gebe es Mitgliederversammlungen und das Bilden von Beraterteams. Glauben die Mitarbeiter noch an eine Chance? „Die Hälfte ja, die Hälfte nein“, so Vertrauensfrau Jutta Folkers. Eines empfänden aber alle: „Wir haben richtig große Angst.“