„Breit aufgestellte ...“

„... Protestnote“: AutorInnen der „Szene Hamburg“ melden Bedenken über den Kurs des Blattes an und wenden sich mit einer einmaligen Publikation gegen die drohende Boulevardisierung der Stadtmagazinkultur

von JAN FREITAG

Störungen im öffentlichen Raum, Druck von der Straße, Boykott auf eigene Kosten – wenn JournalistInnen aufwendig recherchierte Texte für ein kommerzielles Medium zurückziehen und für lau veröffentlichen, muss Entscheidendes passiert sein. In der Tat: Die Szene Hamburg, seit langem lokales Bollwerk gegen die Boulevardisierung im Veranstaltungskalenderblätterwald, ändert ihre Ausrichtung. Und Teile der Belegschaft treten in befristeten Streik. Mehrere Artikel, bestellt für ein Juni-Dossier zur Hafencity, landeten so zusammen mit Kultur- und Motzartikeln in einer Zeitschrift namens Breit Aufgestellt. Ein „gedruckter Protest gegen die Personalpolitik des Verlags“, erklärt mit Jan Möller einer der OrganisatorInnen des einmalig erscheinenden Stadtmagazins. Ein Fanal gegen die befürchtete Neuausrichtung der Institution am rappelvollen Hamburger Printhimmel. Denn der Ton, so heißt es im Editorial, wird sich ändern.

Dabei klingt der Auslöser jener gut 3000-fach umsonst verteilten Protestnote auf 24 Seiten eigentlich toll, fast revolutionär: In wirtschaftlich schwieriger Lage hat der HSI-Verlag am 2. Mai den Chefredakteur entlassen (taz hamburg berichtete). In anderen Worten: Die Rationalisierung setzt rein hierarchisch betrachtet endlich mal ganz oben an, bei Christoph Twickel.

Doch Moment. Der Gefeuerte, im Nebenleben DJ beim Radiosender FSK und Autor für so staatstragende Organe wie das Jungle World-Supplement Subtropen oder auch die taz, ist kein abgewickelter Topmanager mit Abfindung in Peanutshöhe. Er stand vielmehr für ein Blatt, auch das steht im Breit Aufgestellt-Editorial, das „sich inhaltlich von den mächtigen Medienkonglomeraten dieser Stadt abgesetzt hat und auch die kulturelle und lokalpolitische Situation kritisch begleitete“.

Ob nun ausgerechnet Gerhard Fiedler da ansetzt, wo sein Vorgänger aufhören musste? Jetzt sitzt der Verlagsgeschäftsführer auf Twickels Sessel und lässt anderen Wind in die Redaktionsräume am Schulterblatt wehen. Das Titelblatt steht zum Verkauf, eine Werbefrontseite ist in Planung und was inhaltlich blüht, das deutet das Juni-Heft an. Zwar waren auch die verbliebenen Dossier-Autoren der HafenCity nicht eben zugetan; doch die Layoutverantwortlichen, vulgo Fiedler und Co, kündigten auf Seite fünf an, „Wirtschaftflaute und missglückter Olympia-Bewerbung zum Trotz – dank HafenCity soll Hamburg wieder eine wachsende Metropole werden“. Restlos aufmüpfig.

Und Breit Aufgestellt prophezeit, wie es weitergehen könnte: Mehr Event, mehr Titten, mehr Kommerz. Prinz und andere Frohsinnterroristen ließen grüßen. Schade also, dass die über 20 Aufsässigen ihr Ersatzangebot nur eine Ausgabe lang unterbreiten. Damit nicht auch das Unikat zum finanziellen Desaster wird, bittet Breit Aufgestellt heute zum Finanzierungstanz. Releaseparty heißt das Ganze, denn die Artikel waren zwar kostenlos, nicht aber die Heft-Herstellung. Und es bleibt zu hoffen, dass dann noch ein paar Restexemplare auftauchen. Vielleicht wird der (mediale) Mainstream nicht mehr allzu oft attackiert in Hamburg.

Refinanzierungs-/Releaseparty (mit AutorInnen an den Plattenspielern): heute, 21 Uhr, Buttclub (Hafenstr. 126)