Verschnieftes Röhren

Erst war sie die Mutter des Punk, dann reiste sie nach Indien. Nun hat Nina Hagen Schmetterlinge im Bauch, die plötzlich aus ihr herausflattern. Deren Flügelschlag klingt ein bisschen nach Ella Fitzgerald: Nina Hagen hat ihre Liebe zum Jazz entdeckt

von Jens Fischer

Die Liebe entschuldigt alles. Kribbeln und krabbeln dann doch die Schmetterlinge im Bauch. Überwältigendes Glück. Ganz still zu zweit zu genießen. Nur Künstler können die Schmetterlinge nicht bei sich behalten, müssen ihr Inneres nach außen kehren. Selbstverwirklichungs-Expressionismus. Dem seit Jahr und Tag auch Nina Hagen huldigt.

Sieht so große Liebe aus?

Die Songs ihres aktuellen Albums BigBand Explosion bezeichnet die selbst ernannte „Mother of Punk“ als „verborgene Schmetterlinge, die schon lange in mir waren, und plötzlich sprudelten sie aus mir heraus, aus meinem Bauch, aus meinen Stimmbändern, jetzt sind sie frei“. Und flattern durch den Bremer Konzertsaal Glocke. Nur sind es eben keine Edelfalter, mit feingeistigem Flügelschlag und der symbolischen Leichtigkeit der Liebe beladen, sondern eher Weißlinge. Noch klar als Schmetterlinge zu erkennen. Aber irgendwie farblos, gewöhnlich. Das kann die große Liebe nicht sein. Nina Hagen singt Jazz-Standards im Swing-Sound.

Aus dem Hinter- in den Vordergrund spielt sich mit ordentlich Druck die Leipzig Big Band. 1999 wurde sie von Musikern der örtlichen Jazz-Szene und Mitgliedern des Rundfunkblasorchesters gegründet. Allesamt versierte Profis, die wissen, wie man die Erwartungshaltungen in Sachen Bigband erfüllt. Die Bläserarrangements sind übersichtlich bis schlicht, verharren ängstlich vor der Bebop-Leidenschaft, setzen vornehmlich auf volle Dröhnung. Ohne große Differenzierungen schnurstracks geradeaus, mit mal rockig versteifter, mal dezent funky groovender Rhythmik – selten nur mit der schwebenden Eleganz des Swing-Ära. So klingt alles ziemlich ähnlich – vom Rock‘n‘Roll-Schlager über die Jazz-Ballade bis zu Bachs berühmter Toccata.

Schlechter als das Vorbild

Alles Swing? Zumindest wird dieser Stil der goldenen 30er Jahre seit längerem vergeblich als Revival-Mode herbeizitiert. Bryan Ferrys As Time Goes By funktionierte noch mit süffigem Dandytum. George Michaels Songs From The Last Century wirkten da schon kühl eklektizistisch und blieben in den Regalen liegen. Als Robbie Williams den Sinatra machte, sang er schlechter als sein Vorbild und orientierte sich zu sehr an den Song-Originalen, so dass die Neueinspielung nicht originell und damit überflüssig war.

Nina Hagen möchte nun ihre Liebe zu Ella Fitzgerald ausleben. Die Königin des Mainstream-Jazz konnte die Stimme zwischen scharfen Höhen in samtig gebrummten Tiefen über drei Oktaven nuanciert changieren lassen und war eine Meisterin des Scat-Gesangs, den sie als Tribut an die 40er Jahre in ihr Repertoire übernommen und zur Perfektion geführt hatte.

All das kann Nina Hagen nicht leisten. Sie legt mit einem fauchig gegröhlten „Let Me Entertain You“ los, ohne sich übermäßig ernst zu nehmen. Auch dem folgenden Lied, Ellas berühmter „Sugar Blues“, liefert sie sich nicht aus, intoniert schlurig, ohne Elastizität in der Stimmführung. Unbekümmert respektvoll klingen die Interpretationen – mit charmanten Anflügen von Planlosigkeit. Da rettet sich Hagen gern in Routine, setzt auf ihr kerniges, immer etwas kehlig verschnieftes Röhren. Selten inspiriert. „Over The Rainbow“ klingt eigentümlich hart und erdig, „Sag mir, wo die Blumen sind“ hört man selten so aufgesagt, „Fever“ selten so unterkühlt.

Bei den Zugaben wacht sie auf

Auch wenn die Irrwischin mit der klassischen Gesangsausbildung keinen Raum für ihre Kieks-, Glucks- und Knurr-Manierismen findet, mag sie aufs lustige Silben-Zerkauen und „R“-Gerolle nicht verzichten. Die Vorbilder sollen nicht übertroffen oder beweihräuchert, sondern so partymäßig wie huldvoll abgefeiert werden. Dazu passt sehr gut die dezente Choreographie für den drallen Hagen-Körper, der den Nähten des Divenkleides alles abfordert: eine Bewegungscollage aus Stummfilm-Pathos, Showgirl-Gewackel und Tänzen indischer Götter.

Erst bei den Zugaben wacht Nina Hagen auf, gört ein wenig punkig herum, gibt „Du hast den Farbfilm vergessen“ als DDR-Schlagersternchen-Parodie in eigener Sache, schäkert als Missionarin mit einem politisch-korrekten Friedensappell. Und gestaltet das Duett von Elvis und Ann Margret, „The Lady Loves Me“, sowohl stimmlich also auch mimisch grimassierend zu einem schönen Jux.

Aber Schmetterlinge im Bauch, dafür reicht es nicht. Ein solches Insekt hängt nur plastikfein in Nina Hagens wallendem Hexenhaar. Es ist riesengroß – und kohlweißling-weiß.

Weitere Auftritte: Sonntag, 16. Juli, Braunschweig, Staatstheater; Montag, 24. Juli, Hamburg, Kampnagel