Sprechende Blicke

„Kanadische Filmwoche“ im Kino 46: Mit dabei sind die Filme „Maelström“ und „Flower & Garnet“. Der eine lohnt sich wegen seines Übermuts, der andere wegen seiner Ruhe

Der allwissende Erzähler ist ein Fisch, der eine Art Märchenstunde veranstaltet

Zumindest in einem Land funktioniert die kulturelle Förderungspolitik noch, und deshalb ist Kanada so reich an originellen Künstlern – seien es Musiker, Schriftsteller oder Filmregisseure. Das kanadische Kino hat einen guten Ruf, zwar nicht in den Multiplexen aber in Programmkinos und auf Festivals.

David Cronenberg, Atom Egoyan, Bruce McDonald und Guy Madden sind die Stars dieser Filmszene, aber die Organisatoren der „Kanadischen Filmwoche“, die im Kino 46 läuft, können es sich leisten, ganz auf deren neuere Werke zu verzichten und präsentieren dennoch ein vielfältiges Programm mit insgesamt 14 Filmen.

Einer davon ist „Maelström“ (Fr. 18.00, So. 20.30) von Denis Villeneuve, dessen Bilder einen ganz eigenen Sog erzeugen. Erzählt wird von der jungen, erfolgreichen Bibiane, deren Leben in Rekordzeit den Bach hinunter zu gehen scheint: Nach einer Abtreibung verliert sie ihren Job, überfährt betrunken einen Fußgänger, begeht Fahrerflucht, unternimmt aus Reue einen Selbstmordversucht und bekommt die Chance einer neuen Liebe.

Regisseur Villeneuve erzählt so kunstvoll und gewitzt, dass man ständig überrascht wird. Es beginnt damit, dass der allwissende Erzähler des Films ein riesiger Fisch ist, der in einem bedrohlichen blutroten Gewölbe mit tiefer Stimme eine Art Märchenstunde veranstaltet, während das triefende Messer des Fischers über ihm droht.

Norwegische Mythen werden als Kontrapunkte zum modernen Leben in Montreal heraufbeschworen, der Film quillt über von Ideen, und doch gibt es in ihm auch stille Momente mit einer überraschenden Intensität. Villeneuve spielt mit einem sympathischen Übermut mit den verschiedensten Formen, Konventionen und Stimmungen. Deshalb wirkt seine Virtuosität nie angeberisch oder leer.

“Flower & Garnet“ (Fr. 20.30) von Keith Behrmann kommt viel bescheidener und ruhiger daher. Die Titelhelden sind Geschwister, doch die 16-jährige Flower ist für den acht Jahre alten Garnet eher Mutter als Schwester, denn die Mutter der beiden starb bei dessen Geburt. Dieses Trauma beherrscht die ganze Familie: der Vater Ed hat den Verlust nie verkraftet, der ungeliebte Garnet wurde zu einem eigenbrötlerischen, freudlosen Jungen und Flower ist heillos überfordert, besonders nachdem sie erfährt, dass sie schwanger ist.

Es hat lange keinen Film mehr gegeben, in dem es gelingt, soviel durch Blicke zu erzählen. Es gibt einige wahrhafte, fast magische Momente, in denen nichts gesagt werden muss, weil die Augen sprechen: Etwa der Blick des jungen Freundes von Flower, als diese sich zum ersten Mal vor ihm auszieht – erschrocken, dankbar, gebannt, hilflos. Oder die kurzen Blicke, die zwei ältere Frauen wecheln, nachdem Flower ihnen erzählt, wie sehr sie sich darauf freut, das Kind alleine großzuziehen.

Solche Momente gelingen einem Filmemacher nur, wenn er seine Figuren liebt. Und weil man dies spürt, ist „Flower & Garnet“ alles andere als ein deprimierender Film, obwohl er von Verlust und Einsamkeit erzählt. Wilfried Hippen

Kanadische Filmwoche: noch bis zum 1.7. im Kino 46, alle Filme im Original mit Untertiteln. Einzeltermine: kinotaz, Terminkasten oder www.kino46.de