In szenetypischen Räumchen

Die Ausstellung als Trip: Der Bremer Kunsthalle gelingt das Kunststück, die Worpsweder Maler zum Erlebnis zu machen. Sie betäubt dafür den kritischen Blick durch den schwebenden Rilke-Sound und irisierende Farben

Oh Mann, diese Farben! Mit einer gehörigen Portion LSD wäre das alles kein Problem: Schleier der Halluzination verhübschen einfach alles. Aber mit der Eintrittskarte auch ein Teil zu verkaufen, das brächte die Kunsthalle in Konflikt mit dem Betäubungsmittelgesetz: Lysergid ist nach wie vor verboten, und auch aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt sich, das ästhetische Dilemma anders zu lösen. Denn, dass ein „Museum mit dem, was die lokale Besonderheit ist“ umgehen muss, ist Wulf Herzogenrath bewusst. Aber ebenso frei bekennt der Kunsthallendirektor, dass er „eine Worpswede-Ausstellung alleine für unsinnig halten“ würde. Und das, obwohl die Schau „Rilke. Worpswede“ heute eröffnet wird.

Die Kunstgeschichte ist über die Worpsweder Maler hinweg gegangen. Eine Renaissancesteht ihnen nicht bevor. Ihre Rolle beschränkt sich zwar nicht auf die der Touristenmagnetiseure vom Teufelsmoor. Mackensen, Overbeck, Modersohn, Vogeler und Hans am Ende haben Einfluss ausgeübt auf ihre Zeitgenossen, wie schwer der auch wissenschaftlich exakt zu bestimmen ist. Aber die Wertschätzung ihrer Werke ist seit 1903 nicht gewachsen. „Die fünf Maler“, schrieb Rilke schon damals, „sind Werdende“. Stimmt, darf man den Satz heute kommentieren. Man kann ja auch weniger werden und sogar ganz vergehen. Und doch muss die Kunsthalle dieses Schwinden unendlich sanft in ihren Hallen zeigen. Nur wie?

Oh mann, diese Farben! Die Farben! Grauschwarz, mit Kohle und Torfbrocken, ein geschlossener Lacksarg auch: so präsentiert sich der Mackensen-Showroom. Overbeck ist in irisierendes Ultramarin gehüllt, samt Mondlicht, oh, diese Farben. Ein Engelsflügel wächst aus dem Klavier und an der Birke hängt die Geige. Aus rosigen Rosenblattbergen vor altweißer Wand ragen Stückeeiner Ritterrüstung – Amputate von Kopf, Arm und Bein doch ohne alles Grauen. Und das Mädchen, das plötzlich im Raum steht, muss laut Rilke Melusine oder Madonna sein. Wäre sieaus Vogelers „Frühling“ heraus getreten, in ihrem grünen Kleid und hätte das Vögelchen allein auf der Birke zwitschern lassen? Nicht jeden Tag, aber „zweimal pro Woche“, sagt Frederike Duggen, Schauspielschülerin. „Ich rezitiere Gedichte und lese aus den Texten über die Maler vor.“

Bühnenbildnerin Nicola Reichert hat, entsprechend der Angaben Rilkes szenetypische Räumchen geschaffen. Gespielt wird mit Realien aus den Behausungen der Künstler und mit Motiven aus ihren Gemälden. „Das sind surreale Bilder“, klärt Reichert auf. Benebelnde Bilder träfe es auch, denn sie schalten gekonnt den kritischen Blick auf die Gemälde ab und entrücken Rilkes fragwürdige Kunst-Theorie: Allein regiert der narkotische Klang seiner Sprache.

Unproblematisch ist das nicht. Und doch ist es wohl die einzig richtige Antwort auf das Schwinden des Ausstellungssujets: Statt Kunst wird Kunstbesprechung gezeigt und nicht auf ihren Sinn geprüft. Sie werden aufgeführt als sinnliches Spektakel. Das Drumherum nimmt den Zentralraum ein.

Das ist die Jugendstil-Strategie schlechthin, und auch die der Worpsweder Künstler: „Die Landschaft aber steht“, so schreibt Rilke, „ohne Hände da und hat kein Gesicht, – oder aber sie ist ganz Gesicht und wirkt durch die Größe und Unübersehbarkeit ihrer Züge“. Sie ist, prosaischer gesagt, kein Gegenstand. Sondern nur die Voraussetzung des Gegenständlichen – sein Rahmen. Genau das begründet auch den kaum zu erwartenden Erfolg der Ausstellungslandschaft in der Kunsthalle: Durch die farbige Verschleierung entrückt, in ihrem Kitsch ganz ernst genommen und sogar überboten, entspinnt sich aus den fremd gewordenen Gemälden bisweilen doch – ein feiner Zauber.

Benno Schirrmeister

Kunsthalle, bis 24. August