Mercedesstern, Kirschkern und die halbe Wahrheit

Überfall auf Berliner Schüler in Brandenburg hatte Vorgeschichte: Punk klaute Pkw-Stern. Bürgermeister: „Wir haben früher auch Scheiß gebaut“

Im Nachhinein kann man sagen: Glück gehabt. Die Sache hätte auch ins Auge gehen können. Es war ein Spiel mit dem Feuer, sprich nur die halbe Wahrheit, als die Elftklässler des Schöneberger Paul-Natorp-Gymnasiums vor zwei Wochen bei der Polizei anzeigten, bei einer Klassenfahrt in Brandenburg von 10 bis 15 Tätern mit Baseballschlägern und Eisenstangen überfallen worden zu sein. Inzwischen ist bekannt, dass der Überfall in einer Ferienanlage bei Werder eine Vorgeschichte hatte: Einer der Schüler, ein Punk, hatte zuvor an einem Badesee einen Mercedesstern von einem Berliner Pkw geklaut. Aber das hatte die Polizei erst später erfahren.

Wegen der negativen Schlagzeilen, die der Vorfall dem Städtchen Werder beschert hat, hätte Bürgermeister Werner Große (CDU) allen Grund, auf die Schüler sauer zu sein. Aber Große zeigt Größe: „Wir haben früher auch Scheiß gebaut und hinterher nicht alles zugegeben“, sagt er. Wäre sich die Klasse über die Folgen im Klaren gewesen, ist der Bürgermeister sicher, „hätten sie von Anfang an die Wahrheit gesagt“.

Es geschah vor genau zwei Wochen, in der Nacht von Freitag zu Samstag. Als in den ersten Meldungen von dem Überfall Worte wie Baseballschläger und Eisenstangen fielen, war bei vielen der erste Gedanke: Das müssen Rechtsradikale gewesen sein. Erinnerungen an die Zeiten Mitte bis Ende der 90er-Jahre kamen hoch, in denen sich die Überfälle auf Berliner Schüler in den neuen Bundesländern gehäuft hatten. Die Vermutung, dass es Rechtsradikale waren, wurde in den Medien geäußert. Die Schüler des Paul-Natorp-Gymnasiums selbst hatten nie etwas in dieser Richtung gesagt.

Die brandenburgische Landesregierung, die sich in der Vergangenheit zumindest verbal bestürzt über jeden Überfall gezeigt hatte, hielt sich diesmal auffällig zurück. Man habe gut daran getan, sagt der stellvertretende Regierungssprecher Manfred Füger heute. Intern habe sich nämlich schon bald gezeigt, dass das Ermittlungsergebnis der Polizei nicht mit der ersten Darstellung der Schüler übereinstimmte. Hilfreich sei gewesen, dass Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD) vor voreiliger Panik gewarnt habe. Es bestehe kein Grund, andere Klassenfahrten ins Umland abzusagen, so Bögers damaliger Kommentar. Rund 6.000 Berliner Schulklassen würden jährlich nach Brandenburg reisen, ohne dass es zu Vorfällen komme.

Die betroffenen Schüler sind nach wie vor wie zu keiner Stellungnahme gegenüber den Medien bereit. Polizei und Staatsanwaltschaft haben indessen ihre Sicht der Dinge bei einer Pressekonferenz in Werder zum Besten gegeben: Danach war es so, dass ein Teil der 26-köpfigen Schülergruppe am Freitag, dem 13. Juni, gegen 23 Uhr zum Baden an den Plessower See nahe der Ferienanlage ging. Auf dem Weg dorthin klaute der Punk den Mercedesstern. An der Badestelle kam es zu einem Wortwechsel mit den Pkw-Besitzern, die das Fehlen des Sterns bemerkten. Die Schüler gaben diesen jedoch nicht heraus und gingen zum Fernsehen zurück in die Anlage. Kurz nach 1 Uhr drang eine Gruppe von 5 bis 10 jungen Männern in den Bungalow ein, in dem die männlichen Schüler wohnten.

Die Gruppe war laut Polizei nicht mit Basebaseballschlägern und Eisenstangen bewaffnet sondern mit Zaunlatten, die am Zaun des Geländes fehlten, und Taschenlampen. Der Punk erhielt einen Schlag auf den Kopf. Die Gruppe forderte 100 Euro Schadensersatz für den Stern. Als ihnen die Schüler 60 Euro gaben, entwendeten sie vermutlich noch drei mobile CD-Player.

Der sternlose Wagen war Stunden später in einem ganz anderen Ort in Brandenburg aus einem ganz anderen Grund in eine Polizeikontrolle geraten: Die Insassen hatten auch hier Schadensersatz gefordert – von einer Anwohnerin, die auf das Fahrzeug einen Kirschkern geworfen hatte. Dass sie die Daten von vier der fünf der Insassen hat, hat der Polizei bislang aber nur bedingt weitergeholfen. Der Halter, der Wagen und der fünfte unbekannte Insasse sind wie vom Erdboden verschluckt.

PLUTONIA PLARRE