generation schleim von WIGLAF DROSTE:
Klar ist der Morgen, in der Hinterhofkastanie zwitschern und rabastern die Vögel, der Hacks-Forscher Nils Folckers kommt zu Besuch. Kaffee weckt und schmeckt uns, wir plaudern und ratschen, trinken mehr Kaffee, Herr Folckers vertieft sich in das auf dem Küchentisch liegende diverse journalistische Altpapier, und der Dichter Ringelnatz gibt der Stimmung des jungen Tages Namen und Form: „Welt, bist du abgedroschen schön!“
Das ist wahr und gut gesprochen; manchmal ist die Welt allerdings auch nur abgedroschen: In der Friedman-Angelegenheit tritt Bernd F. Lunkewitz als Verteidiger auf. Derselbe Lunkewitz, der Effenberg verlegt, den einzigen und somit größten Kenner der Hitler-Tagebücher, und der das Effenberg-Buch mit Hilfe einer gigantischen Bild-Kampagne losschlug, wirft Bild „Heuchelei“ vor – und zeigt damit bloß, wer das Heucheln aber so richtig beherrscht. Von „Rufmord“ an Michel Friedman muss man lesen, und ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die öffentliche Betschwesterei in einem Text von Robin Detje in der Zeit: „Uns treibt die Lust an Friedmans Untergang“, behauptet der Autor und schließt: „Es scheint, dass der Reservefallschirm dieser Debatte sich nicht öffnen will. Wir stürzen ab.“ Es ist der schiere Quatsch. Debatten haben keine Fallschirme, auch keine in Reserve, und wenn Herr Detje sich lustgetrieben oder stürzend fühlt, muss das dann gleich für ein herbeihalluziniertes kollektives „Wir“ gelten?
Wer sich Schmier- und Brüllmedien als sein Zuhause wählt, möge sich nicht über sie beklagen; die Fein-Tuer, die Simulanten, die sich gern etepetete geben und allein zu diesem Zwecke Friedman verteidigen, übersehen die Tatsache, dass Friedman mit den Medien, die ihn skandalisieren, vorher inniglichst herumkumpelte und -knutschte. Wer zu Kai Diekmann greift, kommt in Bild um. So geht das, mehr ist dazu nicht zu sagen.
Herr Folckers hat inzwischen die erste Ausgabe von Neon in den Fingern und blättert sie durch. Sein Gesicht zu beobachten ist die reine Wonne: Selten sah ich ein so farbiges, pralles Zusammenspiel von ungläubigem Ekel und grünlich angewidertem Gleich-göbeln-Müssen in einem Antlitz vereint. „Den Job sichern: Wie man sich in seiner Firma unentbehrlich macht“, zitiert Herr Folckers das Zentralorgan der Generation Schleim und stößt hervor: „In meinem Traum sitzen die alle im Zug nach Sibirien, und das einzige, was sie wärmt, ist der Atem der Kosaken.“
„Positiv, dynamisch, mit Phantasie – aber sachlich!“: So beschrieb Franz Josef Degenhardt schon vor 25 Jahren die Streber und Nachvornewoller, wie sie sich auch in Neon ausbreiten und sich dabei ganz neu und modern geben. Dabei hat es das zu allen Zeiten gegeben: angstgesteuertes konformistisches Jungvolk, das sich beim rasenden Mitlaufen ganz individuell hip und smart und schlau und vorne und auch einen Tick rebellisch vorkommen möchte. Und noch eins haben die Kreatöre von Neon vergessen: Volle Hosen sehen nie gut aus, auch nicht, wenn sie von Armani sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen