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: Sich selbst der schwerste Gegner

Ja, traut sich denn keiner in die Bundesliga? Eine kurios ausgeglichene 2. Fußballliga voller Versagensangst geht am Sonntag in den Endspurt

Das gab es noch nie: 15 von 18 Klubs der zweiten Bundesliga wissen zwei Runden vor Saisonende noch nicht sicher, wo sie nächstes Jahr spielen. Fest steht nur: Der 1. FC Nürnberg ist auf-, Osnabrück und Union Berlin sind abgestiegen. Ansonsten zeigt die Tabelle nach 32 Spieltagen ein selten groteskes Bild frei von jedem Tabellenmittelfeld. Der 7. (Aue) kann mit 46 Punkten bei optimaler Ergebniskonstellation noch aufsteigen, der 8. (Duisburg) mit 44 Punkten rechnerisch noch in die Regionalliga stürzen.

Gesucht sind noch zwei Bundesligisten und zwei Absteiger. Seit Wochen versagen oben alle in Serie, als folge dem Aufstieg Pest und Cholera zusammen. Unten werden womöglich 43 Punkte nicht zum Klassenerhalt reichen. Mindestens sieben Elfen sind noch akut abstiegsgefährdet. Seit Wochen schlägt jeder jeden und zeigt darauf Nervenflattern.

Deutet das auf Stärke oder Schwäche der Liga? Bekenntnisse gibt es für beide Sichtweisen. Norbert Meier, Trainer des MSV Duisburg, zuckt lächelnd die Schultern: „Das kann das eine bedeuten. Und kann genauso das Gegenteil bedeuten.“ Diese ängstlich-zweitklassige Dialektik ist indes gar nicht so nichtssagend, wie sie klingt. Alle Teams seien „eben extrem ausgeglichen“, sagt Meier – nur auf welchem Niveau? Meier: „Ich weiß es wirklich nicht.“ Dass der Bundesliga-Unterbau „unglaublich kompakt ist“ (Triers Exlauterer Harry Koch) und gern unterschätzt wird, dafür sprechen die Erfolge der Zweitligisten Fürth, Lübeck und Aachen im DFB-Pokal.

Selten reichten so wenige Punkte zum Aufstieg. Also ist es besonders leicht? „Es war noch nie so schwer aufzusteigen“, meinte Aachens Coach Jörg Berger schon vor zwei Monaten. Das klang wie: Meine Elf ist zu schwach und instabil. Sollte aber heißen: Nie war es so schwer, ein Spiel zu gewinnen, weil die Fähigkeiten aller sehr ähnlich sind. Und so haben alle großen Respekt voreinander, verkrampfen und gebären Überraschungen in Serie. Sepp Herbergers Erkenntnis („Das nächste Spiel ist immer das schwerste“) findet späte Begründung: Weil sich jeder selbst der schwerste Gegner ist.

Beispiel Mainz 05. Der tragische Traditionsversager auf der Ziellinie (im Mai 2003 mit einem einzigen Tor) hatte vor drei Wochen die siegarme Saison offiziell für erledigt erklärt. Es folgten drei lockere Erfolge in Serie mit 10:2 Toren. Plötzlich ist für den scheinbar unaufsteigbaren Serienvierten bei derzeit 50 Punkten wieder alles möglich. „Wir haben schlechte Karten, aber diesmal vielleicht Glück“, sagt Stürmer Michael Thurk. Schon mit einem Unentschieden in Regensburg (alle Spiele Sonntag 15 Uhr) kann alles vorbei sein.

Arminia Bielefeld (55 Punkte) scheint kaum gefährdet, noch am Aufstieg zu scheitern. Mittelfeldmann Patrick Owomoyela sieht sich „schon mit dem großen Zeh in der Ersten Liga“, unter Umständen können die westfälischen Alm-Sportler sogar mit einer Niederlage in Osnabrück aufsteigen. In Cottbus (51 Punkte), wo der raue Ton zu Hause ist, beschimpfte Trainer Eduard Geyer die Seinen nach deftigen Niederlagen zuletzt als „Weicheier“ – ohne Erfolg. Energie lockt seine Fans am Sonntag nach Unterhaching zum „wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte“ mit tausend Freikarten, um das Match „zum Heimspiel zu machen“ (Geyer). Tausend aber reichen selbst in Haching nicht zur Stadionmehrheit.

Der lange schwächelnde Herbstmeister Aachen (52) kann aus eigener Kraft ins Ziel torkeln. Das passiert bei einem Heimsieg gegen LR Ahlen schon morgen, falls gleichzeitig Cottbus verliert und Mainz nicht gewinnt. Die Euphorie in Aachen, nach dem Pokalsieg gegen den FC Bayern gigantisch, war nach diversen Schlafwagenauftritten im Frühjahr (auch noch live im TV) längst in spöttische Skepsis umgeschlagen. Dann kamen die Men in Black am Montag mit einem beeindruckenden 2:1 (inkl. geschenktem Elfmeter) aus Oberhausen zurück. Und haben auf dem binnen 24 Stunden ausverkauften Tivoli plötzlich, so der Doppeltorschütze bei RWO, Stefan Blank, „eine historische Chance“.

Alemannias Leidenschaft vom Montag spricht für Aufstieg. Die Ligalogik spricht für eine Niederlage gegen den 12. aus Ahlen, eines der stärksten Teams der Rückrunde. „Ein Drecksspiel“ erwartet Jörg Schmadtke, der Sportdirektor des Pokalfinalisten. Die Aachener Zeitung macht derweil neuen Druck, der lähmen könnte: „Es geht am Sonntag um mehr als alles. Es geht um den Aufstieg.“ BERND MÜLLENDER