„Der US-Imperialismus funktioniert am besten durch die Popkultur“, sagt Michael Mann

Der Krieg im Irak wird mit einem Abzug der US-amerikanischen Truppen enden, der einer Niederlage gleichkommt

taz: Mr. Mann, markieren die Bilder aus Abu Ghraib den Wendepunkt in der US-amerikanischen Strategie, Demokratie mit militärischen Mitteln zu verbreiten?

Michael Mann: Ich denke, der Krieg im Irak war schon vorher verloren. Der Skandal gibt dieser Niederlage nur eine zusätzliche moralische Dimension, nicht zuletzt in Hinblick auf die arabische, muslimische Haltung den USA gegenüber. Die arabische Welt wird das zu Recht nicht als Einzelfall abtun. Wir sehen jetzt, dass solche oder zumindest ähnliche Vorkommnisse System haben – in Guantánamo Bay, auf der Bagram Air Base in Afghanistan und eben auch im Irak. Die Missachtung der Genfer Konvention hat ihren Ursprung ganz oben, bei Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld. Es gibt eine Kommandokette der Missachtung von Regeln. Was wir bisher nicht gewusst haben: es gibt regelrechte Lehrgänge, bei denen psychologische Folter gelehrt wird – und auch der Übergang zu physischer Folter, denn gäbe es den nicht bisweilen, würde die Drohung ja schnell als Bluff erkannt. Aber all das ist nur mehr ein neuer Nagel im Sarg. Wir haben schon zuvor erkennen müssen, dass das, was als Widerstand kleiner Gruppen begann, über eine Spirale der Gewalt, Counter-Insurgency und Repression zu einem nationalen Befreiungskampf gewachsen ist.

Hätte eine bessere Politik überhaupt eine Chance gehabt?

Ich bin da skeptisch. Ja sicher, hätte man weniger Fehler gemacht, stünden wir heute besser da. Aber das Grundproblem ist: Es gab keine irakischen demokratischen Kräfte, auf die man sich stützen konnte. Und wenn solche Kräfte existiert hätten, dann hätten sie es nicht wagen können, sich mit den US-Kräften zusammenzutun. Jeder, der mit einem Invasor kooperiert, wird als Verräter an der Nation betrachtet. Auch, wenn es im Irak aufgrund der ethnischen Differenzen keinen sehr tief verwurzelten Nationalismus gibt …

bis jetzt jedenfalls …

(Mann lacht) … ja, wir schaffen ihn gerade, weil sich die Irakis erstmals in einer Frage einig sind – in der Ablehnung der USA.

Sie sagen, der Krieg ist bereits verloren. Aber ist vorstellbar, dass die USA aus dem Land geworfen werden? Militärisch sind sie doch klar überlegen.

So einzigartig ist der Fall auch wieder nicht. Denken wir an die Deutschen in Jugoslawien. Ihre Überlegenheit hat ihnen gegen Titos Partisanen nichts genützt. Denken wir die Amerikaner in Vietnam. Wie viele Kriege wurden eigentlich gegen Guerillaarmeen gewonnen? Nicht allzu viele. Bin Laden hat mit einem schon Recht: Die US-Bürger können hohe Verluste nicht vertragen. In Vietnam mussten 40.000 Soldaten sterben, bis sich signifikante Opposition äußerte. Im Irak sind nicht einmal 800 Amerikaner gestorben, und die Stimmung kippt. Ich weiß nicht, wie lange die USA noch im Irak bleiben – sechs Monate, ein Jahr, eineinhalb Jahre. Aber ich denke, die Präsenz wird mit einem Abzug enden, einem Abzug, der eine Niederlage darstellen wird.

Wie wirkt sich das alles in den USA aus? Man hat den Eindruck, der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry hat Schwierigkeiten, aus dem Desaster irgendeinen Vorteil zu ziehen.

Die USA sind und bleiben total polarisiert. Und Kerry ist in außenpolitischen Fragen enttäuschend schwach. Natürlich sind die Amerikaner geschockt, vor allem durch die Bilder von Abu Ghraib. Jeder ist geschockt.

Müsste Kerry sagen: „Wir sollten abziehen.“ Oder ist das unmöglich für einen Politiker, der Präsident werden will?

Es ist vor allem schwierig für ihn, weil er bisher nichts in dieser Richtung gesagt hat. Und ich denke, es ist dafür – in Hinblick auf die öffentliche Meinung in den USA – noch zu früh. Die Amerikaner haben noch nicht realisiert, wie schlimm die Situation eigentlich ist.

Belegt die Lage im Irak nicht Ihre These, dass die USA eine ohnmächtige Supermacht sind, unfähig und auch unwillig, fremde Länder permanent zu regieren?

Amerika lässt sich mit den klassischen Imperien nicht vergleichen. Im imperialen Zeitalter gab es junge Leute, die rausgehen wollten in die Kolonien, erfüllt von der Idee, die Welt zu zivilisieren. Amerikaner wollen zu Hause bleiben, nicht in den Irak gehen. Es fehlt an Fähigkeiten, an Fremdsprachenkenntnissen. Amerikanischer Imperialismus funktioniert am besten auf die indirekte Art, durch die amerikanische Popkultur, die niemanden zu irgendetwas zwingt.

Wenn sich die USA militärisch einmischen, sind sie äußerst talentiert, sich jeden zum Feind zu machen.

Man soll auch nicht übertreiben. So unpopulär ist Amerika nicht. Viele in unterentwickelten Ländern wollen so sein wie wir. Und viele Iraker haben die US-Invasion begrüßt. Aber die Dynamik der Besatzung von Guerillakrieg und Gegengewalt entfremdet die irakische Bevölkerung. Grundsätzlich würden die meisten Iraker aber immer noch sehnlichst wünschen, der 51. Bundesstaat der USA zu sein.

Das Irak-Fiasko wird mit der Regierung Bush identifiziert. Brächte ein Regierungswechsel nicht sofort einen Legitimitätsgewinn für die den neue US-Regierung?

Das ist nicht unmöglich. Aber sie wird es nicht leicht haben. Und dem irakischen Widerstand, der jetzt von Bush hochgepäppelt wird, ist egal, ob der US-Präsident Bush oder Kerry heißt.

INTERVIEW: ROBERT MISIK