DEUTSCHLAND MUSS ENDLICH FÜR SEINE NS-VERBRECHEN GERADESTEHEN
: Gerichtsurteil ist Sieg und Bürde

Alles könnte so einfach sein. Wer einen Krieg beginnt, muss hinterher jedem einzelnen Opfer den Schaden ersetzen. Wer im Krieg Verbrechen begeht, muss später den Misshandelten und den Angehörigen der Getöteten finanzielle Genugtuung leisten. Der Schadensrsatz wäre so hoch wie das Leiden, also in der Regel unermesslich. Kriege wären unbezahlbar und damit nicht mehr führbar.

Doch dazu wird es nicht kommen. Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden, dass die individuellen Opfer nach einem Krieg keinen Anspruch gegen den Täterstaat haben. Nur ihr Heimatstaat kann Ansprüche geltend machen. Dabei ging es um ein SS-Massaker in Griechenland, das stellvertretend für viele andere Gräueltaten des NS-Staates steht.

Die BGH-Entscheidung ist kein Skandal. Jedes andere Gericht auf der Welt hätte vermutlich ebenso entschieden. Überall sind Individualansprüchen nach einem Krieg ausgeschlossen. Dafür gibt es gute Argumente: Denn auch bei voller Schadensersatzpflicht würde es Kriege geben, nur der Frieden würde ungleich schwieriger. Das Eintreiben gigantischer Forderungen würde auf Jahrzehnte hinaus das Entstehen einer neuen gedeihlichen Nachbarschaft belasten. Deshalb spricht viel dafür, dass die beteiligten Staaten sich nach Ende des Gemetzels über ausreichend schwere, aber doch tragfähige Reparationen einigen. Eine solche Lösung kann wohl nur durch politische Verhandlungen, nicht durch eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen erreicht werden.

Formal ist das Urteil ein Sieg der Bundesregierung. Doch es ist zugleich eine Bürde, denn es legt die politische Verantwortung Deutschlands offen. Bisher hat Bonn/Berlin für die Opfer der SS-Massaker so gut wie nichts getan. Der Verweis auf die Vorteile, die Griechenland aus der EU zieht, ist absurd – die EU bringt allen Vorteile, und Deutschland ganz besonders.

Wie man hört, benötigt die Region um Distomo, Ort des Massakers, eine Klinik für Krebspatienten. Hier läge eine nicht ganz billige, aber doch auch im positiven Sinne symbolische, heilende Geste der Bundesregierung nahe – nach immerhin 59 Jahren. CHRISTIAN RATH