Tatverdächtig: Türkische Armee

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte soll jetzt das Schicksal der Deutschen Andrea Wolf aufklären, die vermutlich 1998 erschossen wurde

FREIBURG taz ■ Liselotte Wolf will endlich Klarheit über das Schicksal ihrer Tochter Andrea. Wahrscheinlich wurde diese 1998 von türkischem Militär erschossen. Mit Hilfe des Freiburger Juristen Jörg Arnold hat Mutter Wolf jetzt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeschaltet.

Andrea Wolf stammt aus München und hatte sich intensiv in der linksradikalen Szene engagiert. Mitte der 90er-Jahre geriet sie ins Visier der Bundesanwaltschaft, die ihr Beteiligung am RAF-Anschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt vorwarf. Wolf tauchte daraufhin unter und schloss sich 1997 der kurdischen Guerilla PKK an.

Nach Darstellung von PKK-Kämpfern geriet Andrea Wolf, die von den Kurden „Ronahi“ (Licht) genannt wurde, mit ihrer Einheit im Oktober 1998 in Gefangenschaft des türkischen Militärs. Zunächst sei Wolf etwa 20 Minuten lang verhört worden, dann hätten die Soldaten die Deutsche einfach erschossen. Die Leiche ließen sie zurück, die PKK habe sie dann bestattet. Auch eine Internationale Untersuchungskommission, der unter anderem die taz-Journalistin Inga Rogg angehört, geht von dieser Version aus.

Von türkischer Seite gibt es dagegen keine Bestätigung für den Vorfall. Mutter Wolf beauftragte deshalb ein Jahr später die türkische Menschenrechtsanwältin Eren Keskin. Doch auch sie konnte nichts erreichen. Eine Strafanzeige wegen Mordes führte in der Türkei zwar zu einem Ermittlungsverfahren, dieses wurde jedoch im März 2002 ohne Ergebnis eingestellt.

Jetzt hofft die Mutter auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, bei dem die Türkei in den letzten Jahren schon in dutzenden Fällen zur Zahlung von Entschädigung verurteilt wurde. Das Gericht des Europarats wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

„Wir werfen der Türkei in erster Linie vor, dass sie die Todesumstände von Andrea Wolf bis heute nicht aufgeklärt hat“, erläuterte der Strafrechtler Arnold jetzt bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Eren Keskin. „Für die Mutter ist es sehr belastend, dass sie bis heute nicht weiß, wie ihre Tochter gestorben ist.“

Den Vorwurf des Mordes, der ja auch nahe läge, hat Arnold nicht erhoben. „Da die Beweislage nicht sehr gut ist, würde dies die Erfolgsaussichten einer Klage verringern.“ Die Prüfung in Straßburg kann bis zu einigen Jahren dauern.

Auch im Auswärtigen Amt ist der heikle Fall bekannt, denn die PDS fragt im Bundestag immer wieder nach, was Außenminister Joschka Fischer und seine Diplomaten unternehmen. „Wir sprechen mit der türkischen Seite regelmäßig über Andrea Wolf“, sagte eine Sprecherin des Außenministers, „bis jetzt ohne Ergebnis.“ CHRISTIAN RATH