Der Reformkanzler – ein Lebemann und Machertyp

Schon Schröders Vorbild, Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg, ist mit dem Versuch einer umfassenden Steuerreform gescheitert

NEUHARDENBERG taz ■ Der Reformkanzler kam aus Hannover, und sein Image war nicht das beste. Als „aalglatter Opportunist“ wurde er von späteren Historikern abgekanzelt, bisweilen sogar „als ständig verschuldeter Lebemann“. Andere Stimmen sahen in ihm den Typus eines „Machers“ geradezu ideal verkörpert.

Nein, von Gerhard Schröder ist nicht die Rede, sondern von dem Mann, in dessen Fußstapfen der Sozialdemokrat an diesem Wochenende tritt. Drei Tage lang berät das rot-grüne Kabinett im brandenburgischen Neuhardenberg – just in jenem Schloss, das der preußische Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg 1814 von seinem König geschenkt bekam.

Das Amt des Regierungschefs hatte Hardenberg 1810 übernommen, wenige Jahre nach der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt. Für die Modernisierer um Hardenberg war klar: Diese Schlappe war nicht nur ein militärisches Problem, sie war die Folge eines Reformstaus in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft. Deshalb wollten die Reformer den Abstand zu den ökonomisch erfolgreichen Nationen verringern.

Besonders wichtig war dem Berliner „Macher“, wie ihn der Historiker Hans-Ulrich Wehler titulierte, die Reform von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Dabei orientierte sich der Kanzler am wirtschaftlichen Liberalismus des Schotten Adam Smith, der damals groß in Mode war. Ziel war die Entfesselung aller produktiven Kräfte, an die Stelle bürokratischer Lenkung sollte der freie Wettbewerb treten. Es fehlte dabei nicht an apokalyptischen Prognosen, wonach der geplante Wegfall des Zunftzwangs zu Pfuscherei und Betrug führen werde.

So wenig wie die verkrustete Struktur des Arbeitsmarktes gefiel dem Staatskanzler der Zustand des Bildungswesens. Auch ohne wissenschaftliche Vergleichsstudien erkannte er, dass die preußischen Schulen und Hochschulen dem Vergleich mit anderen Ländern nicht mehr gewachsen waren. Mit Hilfe seines Beraters Wilhelm von Humboldt bekämpfte er die moralische Verwahrlosung der Studenten und trieb die Modernisierung der Universitäten voran.

Neue Herausforderungen erwarteten den fidelen Kanzler auch auf dem Feld der Verteidigungspolitik. Die neue Weltordnung, die im Gefolge der Französischen Revolution entstanden war, forderte ihren Tribut – nach dem 14. Juli blieb nichts mehr, wie es einst gewesen war. Anders als heute ging es allerdings um die Einführung, nicht um die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht.

Mit ihrer reformierten Armee konnten die Preußen den französischen Kaiser besiegen, aber mit dem Krieg wich auch der Reformdruck. Ganz besonders galt das für das Thema, das beim rot-grünen Konklave an diesem Wochenende im Mittelpunkt steht. Gerade mit seinen Bemühungen um eine durchgreifende Steuerreform ist Hardenberg gescheitert. Gewerbesteuer, Vermögensteuer und eine Einkommensteuer von bis zu 5 Prozent, das war in den Augen des Adels pure „Gehässigkeit“ und „offenbarer Raub“. Weil sich die Steuerzahler selbst einstufen durften, gingen statt der erhofften 11,1 Millionen Taler bis 1813 nur 1,9 Millionen ein.

Das Haushaltsdefizit blieb erhalten, die Regierung balancierte weiter am Rande des Bankrotts. Erst zwei Jahre vor seinem Tod kam Hardenberg auf die rettende Idee. Nach dem Vorbild Englands führte er 1820 ein modernes Staatsschuldenwesen ein. Von nun an galt das gesamte Eigentum des Staates als Sicherheit für seine Anleihen. Mit einem Schlag war die öffentliche Hand unbegrenzt kreditwürdig. Seither konnte es sich die Politik leisten, auf die gern beschworene „Gegenfinanzierung“ auch mal zu verzichten.RALPH BOLLMANN