Angst vor Preisdumping und Verarmung

In Frankreich reagieren Vertreter von Bauerngewerkschaften und Bauernverbänden gleichermaßen wütend auf den Kompromiss

PARIS taz ■ Der einzige Franzose, der den in Luxemburg ausgehandelten Agrarkompromiss lautstark lobte, hat ihn mit verbrochen. Landwirtschaftsminister Hervé Gaymard behauptete gestern, der Kompromiss würde „Perspektiven für die europäischen Bauern bis ins Jahr 2013 schaffen“, die „Folgen der Globalisierung für die Landwirtschaft“ beherrschbar machen und trotz aller Umwälzungen fast gar nichts für die französischen Bauern ändern. Gaymard: „Wir haben die Gewissheit, dass Frankreich die gleiche Menge Hilfe behält.“

Alle anderen Fachleute sehen das völlig anders. Die Sprecher der französischen Bauerngewerkschaften und -verbände, die sich sonst spinnefeind sind, nennen den Kompromiss einmütig eine „Katastrophe“ und den Anfang vom Ende der europäischen Landwirtschaft. Die Gewerkschaft „Coordination rurale“ spricht von einer „Kapitulation Frankreichs“. Für die konservativen und regierungsnahen „jungen Bauern“ bezeichnet deren Vorsitzender Jérôme Despey den Kompromiss als „Beginn der Zerschlagung der europäischen Landwirtschaft“ und als „Zunichtemachen von 40 Jahren Arbeit an einer Politik, die die Märkte kontrollieren wollte“. Jean-Michel Letmétayer, Präsident des mächtigen Bauernverbandes FNSEA, sagt stinksauer: „Die Liberalen haben gewonnen. Wir sind enttäuscht, aber wir geben uns nicht geschlagen.“

Wut und Enttäuschung über den Luxemburger Kompromiss gibt es in Frankreich auch am anderen Ende des politischen Spektrums der Bauernorganisationen. Die „Confédération Paysanne“, die traditionell den Sozialdemokraten und Grünen nahe steht, spricht von einem „Schritt zur Zerschlagung der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik“. Damit werde eine der seltenen Aktivitäten der EU verschwinden, die auf die Beherrschung und Kontrolle einer Produktion abgezielt habe. „Von Fortschritt kann keine Rede sein“, so die „Confédération Paysanne“ in ihrer ersten Reaktion. „Die Abkopplung wird die landwirtschaftlichen Märkte chaotisieren, und die Ungleichheit der Beihilfen für die Bauern noch verstärken.“ Weder die Bauern des Nordens, noch die des Südens würden als Sieger aus diesem Kompromiss hervorgehen, der ein Preisdumping und eine Verarmung in der Branche zur Folge haben werde. Selbstverständlich dürften die Verbraucher dadurch auch keine Qualitätsverbesserung erwarten.

In der alten EU ist Frankreich die größte Landwirtschaft. Seine rund 600.000 Höfe erhalten etwa 9,2 Milliarden Euro aus Brüssel – das ist die größte Subventionsmenge, die die EU an ein Land zahlt. In Frankreich, das Agrarprodukte exportiert, sind die Bauern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zugleich ist die Identifikation der städtischen Bevölkerung mit ihnen groß. Zu einer Souveränität, so sind die meisten Franzosen überzeugt, gehört auch eine unabhängige landwirtschaftliche Produktion. Sie befürchten, dass die EU-Politik das seit Jahren schleichende Bauernlegen noch beschleunigen wird. Nachdem Europa einen großen Teil seiner industriellen Stärke verloren hat, würde es nun auch seine Nahrungsmittelproduktion einbüßen.

Die Bauernorganisationen überlegen nun, wie sie den Luxemburger Kompromiss umgehen werden. Einige – darunter die FNSEA und die „Confédération Paysanne“ – kündigen bereits Proteste anlässlich der Welthandelsrunde im September in Cancun an. Der Regierung in Paris steht damit nach der Mobilisierung gegen ihre Rentenkürzungspläne die nächste Konfrontation bevor. Dieses Mal mit Bauern, von denen viele politisch aus dem eigenen, rechten Lager kommen. DOROTHEA HAHN