Unbetäubt ins Hirn

Von wegen heilende Hände! Die Ausstellung „Der Medizinschrank“ im Zentralkrankenhaus Ost zeigt den Arzt als die Summe seiner Instrumente

Die Edelstahl-Fußhalter werden an der Basis des Tisches angebracht, dann die Beine in die Schalen gelegt. Die beiden Platten am Fußende werden aus der Verankerung gelöst, das Kopfende leicht angehoben. Die Beinschalen sind noch nachzujustieren, damit sich die Haut des betäubten Körpers an der richtigen Stelle strafft. Fertig ist die Steinschnittlage. Die Operation kann beginnen.

Das lässt sich nicht verdrängen: Beinschalen zeigt die Ausstellung „Der Medizinschrank“ gar nicht. Es fehlen auch, was ein bisschen schade ist, die spezifischen grünen Tücher, mit Schlitzen oder mit kreisrunden Löchern. Aber die metallenen Instrumente sind da, und auch die Container für die Dampfsterilisation. In denen sind Haken, gebogene Scheren, Klemmen passend zur jeweiligen Operation systematisch einzuordnen. Der Ausschnitt reicht. Schon ist sie wieder präsent – die Szenerie des extrem vermittelten Kontakts zwischen behandelnd eingreifendem Arzt und Patienten. Das Medium zwischen beiden ist das Instrument – kalt, klar, scharf –, der Verband, das Höhrrohr. Sie begegnen sich im Material.

Die Geschichte der Medizin ist die Geschichte ihrer Technik, nicht ihrer handelnden Personen. Um sie aufzuzeichnen, taugen Biografien nur bedingt: Besser sind Inventarlisten, am besten aber begehbare Magazine, in denen die Instrumente aufgereiht sind – so wie in der Galerie im Park des Zentralkrankenhauses Ost.

Die Gegenstände haben eine unwiderstehliche Suggestionskraft. So liegt in einer Vitrine, glänzend poliert, ein wenig wie eine dicke metallene Spritze ein Schädelbohrer. Das Wort verheißt nichts ungebrochen Gutes, die Stimmung schwankt zwischen Horror und eigenem Erinnern, zwischen Trauma und verstehendem Erkennen. Ein merkwürdiges Gefühl, aus dem auch die Stimme im Kopfhörer nicht rettet. Sie schildert eine Hirnoperation im Ambiente der späten 50er Jahre, passend zum Bohrer. Der Patient ist nicht narkotisiert, während er in seinem Hirn arbeitet kann, muss sich der Arzt mit ihm unterhalten. Nur vom Zweck her sind Folter und Operation wirklich zu unterscheiden.

Die Zweideutigkeit des Instrumentariums und der Behandlung kann gar nicht anders, als auch das Bild vom Arzt zu infizieren. Deshalb sind die historischen Größen der Zunft kaum als Persönlichkeit im Gedächtnis, sondern als ein, zwei von ihnen erfundene Eingriffe samt dazu gehörigen, hochspezialisierten Scheren, Sticheln und Prothesen. Sauerbruch: Die erste OP am offenen Thorax. Dupuytren: Handchirurgie. Cheselden? Hat als erster den Star gestochen.

Aus Sauerbruchs Memoiren wird vom Tonband vorgelesen. Ebenso zeigt die nüchterne Medizinschrank-Ausstellung das Porträt von Militärarzt Doktor Umlandt, der sich an der Ostfront hat malen lassen, und auch andere Weißkittel rückt sie ins Bild – als Exempel ihrer Gattung. Den stärksten Eindruck von Persönlichkeit hinterlassen aber nicht die vergilbten Fotografien, sondern die jeweiligen Arztkoffer. Geordnet oft mit rührenden Marotten: ein Arsenal, vorbereitet, um auch dem unerwarteten Patienten zu begegnen. Auf die eigene Art. Benno Schirrmeister

Der Medizinschrank, Galerie im Park. Bis 12. Oktober