Liebe lieber ungewöhnlich

Musik als Sisyphusarbeit: Mark Oliver Everett, Kopf der Eels, verkündet ein Ende der Therapie – bleibt aber zum Glück unglücklich genug für traurige Melodien. Sonntag breitet der Melancholiker sein Innenleben im ColumbiaFritz aus

Wenn Mark Oliver Everett in einer komischen Stimmung ist, dann schreibt er einen Song. Und wenn er in einer anderen komischen Stimmung ist, dann schreibt er noch einen Song. Und wenn die erste komische Stimmung trotz des Songs wieder auftaucht, schreibt er noch einen. Bis der fertig ist, kann es aber sein, dass mittlerweile noch eine dritte komische Stimmung aufgetaucht ist. Man sieht also: Im Laufe der Zeit kommen da einige Songs zusammen.

Mitunter so viele, dass Mister Everett zuletzt gleich an drei Langspielplatten gleichzeitig arbeitete. Eine davon hat er unlängst herausgebracht unter dem Namen Eels, was wohl davon ablenken soll, dass der Egomane Everett einziges festes Mitglied ist. Zwar lädt er sich immer wieder Gastmusiker ein, darunter prominente Namen wie Peter Buck von R.E.M. oder dieses Mal Lisa Germano, aber das verschleiert nur notdürftig, dass niemand sonst was zu melden hat bei den Eels. Das neue Album, sein mittlerweile siebtes, heißt „Shootenanny!“, eine Wortspiel aus Hootenanny, der spontanen Zusammenrottung zum Volksliederabsingen, und „to shoot“ wie in Schießen mit schweren Waffen. Die 13 Songs des Albums schrieb er in einer Woche, die Aufnahmen wurden in zehn Tagen durchgezogen. Kamen wohl einige komische Stimmungen zusammen.

Die Eels, ließ Everett unlängst verlauten, seien sein „Innenleben“. Dieses Innenleben und mithin die Musik der Eels pendelt beständig zwischen Melancholie und Trauer. Selbst wenn mal die Gitarren losbratzen, bedeutet das kaum Befreiung, sondern eher einen verklemmten Versuch, einen Ausweg zu finden aus all der Mühsal. Dafür aber werden die eher dunklen Gemütsverfassungen in allen denkbaren Schattierungen zwischen skurril, komisch und bitterernst ausgeleuchtet. So viele Nuancen an Grau waren selten. Dass der Verfasser seine Balladen als eher optimistisch einschätzt, bestätigt wieder nur, dass man Fußballer und Musiker niemals ihre eigenen Leistungen einschätzen lassen sollte. Einmal aber hatte Everett Recht, als er auf die Frage, ob er sich Jean-Paul Sartre verwandt fühlte, antwortete: „Ja, aber der rockt nicht so wie ich.“

Stoff für traurige Lieder hat das Leben Everett ausreichend geliefert. Den Selbstmord seiner Schwester und den Tod seiner Mutter verarbeitete er ausdrücklich auf dem Album „Daisies of the Galaxy“ (2000) in sarkastischen Songs über Kleinanzeigen, in denen die Asche von Rockstars zum Kauf feilgeboten wird. Everetts Vater war ein verdienter Quantenphysiker und Brieffreund von Albert Einstein, der Sohnemann diskreditierte sich in Songs schon mal selbst als „großen Fehler“ und in Interviews erzählt er noch heute, dass seine Musik zwar das Einzige sei, was ihn glücklich machen könne, aber sobald die Platte im Kasten ist, verliere er jede Freude an ihr: Musik als Sisyphosarbeit.

Nun aber wird das Ende der Therapie verkündet und erst kürzlich hat Everett eine vergleichsweise fröhliche Platte heraus gebracht, auf der sein Indierock mit HipHop-Beats und Samples verschmolzen wird – allerdings unter dem Namen seines Ersatzcharakters MC Honky, eines 55-jährigen Hobby-DJs, Ex-Pförtners und Töpfers, der angeblich so schüchtern ist, dass er noch nie in der Öffentlichkeit aufgetaucht ist. Auf „Shootenanny!“ scheinen aber auch die Eels selbst so gefestigt, dass erstmals weniger existenzielle Krisen verhandelt werden. Stattdessen wird sich einfach mal selbstvergessen im eigenen Klagegesang gesuhlt: „When I was born the doctor said, there’s something wrong inside that baby head“, nölt Everett und mahnt an anderer Stelle „Liebe für die Ungeliebten“ an. Später besucht der Held in „Fashion Awards“ mit voller Absicht eine Modenschau, nur um sich mal wieder so richtig scheiße fühlen zu können.

Geisteszustand und musikalischer Ausdruck von Everett sind übrigens auf keinen Fall zu verwechseln mit dem gepflegten Breitwandschmerz, den Coldplay inszenieren. Kein Wunder: Schließlich ist Everett auch nicht mit Gwyneth Paltrow verlobt. Stattdessen singt er auf der neuen Platte eine herzerweichende Liebeserklärung an eine Frau mit dreckigem Mundwerk. Dass er schon seit längerem verheiratet sein soll, passt da nicht so recht ins Bild. Aber keine Sorge: Noch sieht es nicht so aus, als könnte Mark Oliver Everett einmal so glücklich sein, dass diese komischen Stimmungen nicht mehr kämen, die ihn dazu zwingen, diese wundervollen traurigen Melodien zu schreiben.

THOMAS WINKLER

Sonntag, 29. 6., 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9–11, Tempelhof