Al-Sadr kämpft sich ins Abseits

Bei Gefechten in Nadschaf wurde ein wichtiges Heiligtum beschädigt. Der radikale Prediger al-Sadr hat nun auch unter Schiiten viel Sympathie verspielt

AUS BAGDAD INGA ROGG

Im Geschützdonner sind gestern die Freitagspredigten in der heiligen Stadt Nadschaf untergegangen. Bei den schweren Kämpfen in der Pilgerstadt wurde auch eines der wichtigsten Heiligtümer der Schiiten beschädigt. Arabische TV-Stationen zeigten Bilder von vier Einschusslöchern in der goldenen Kuppel über dem Schrein von Imam Ali.

In den frühen Morgenstunden hatten vom Friedhof der Stadt aus Kämpfer des militanten schiitischen Predigers Moktada al-Sadr Einheiten der US-Truppen angegriffen. Diese rückten daraufhin mit Panzern und schwerer Artillerie gegen die mit Panzerabwehrraketen bewaffneten Angreifer vor – was sie gefährlich nahe an die Grabmoschee brachte. Während des nun seit mehr als einem Monat währenden Konflikts hatten führende schiitische Geistliche die Umgebung des Heiligtums immer wieder als „rote Linie“ für Kampfhandlungen bezeichnet.

Diesmal waren es jedoch nicht die Amerikaner, sondern der notorische Brandredner al-Sadr, der die rote Linie überschritt: Er machte den Friedhof zum Kampfplatz. Der Friedhof erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer nach Norden in Richtung Kerbela – Nadschafs Schwesterstadt. Sein Boden gilt den Schiiten als heilig. Tote aus der ganzen Welt werden hier zur letzten Ruhe gebettet. Im schiitischen Glauben wird an dem Tag, an dem die Friedhöfe beider Städte zusammentreffen, der verborgene zwölfte Imam als Messias (Mahdi) auf die Erde zurückkehren.

Die Eskalation der Gewalt in Nadschaf hat die Hoffnungen auf eine friedliche Beilegung des Konflikts mit dem schiitischen Eiferer endgültig zunichte gemacht. Erst am Mittwoch hatten Vermittler noch von einem Durchbruch in den seit Wochen andauernden Verhandlungen gesprochen. Der 7-Punkte-Plan hatte auch die von al-Sadr geforderte Zustimmung von Großajatollah Ali Hussein Sistani. Die Auflösung der Mahdi-Armee liege in der Hand der Marjai, der führenden Geistlichen um Sistani, sagte al-Sadr.

Mit dem Aufruf zu Standhaftigkeit an seine Kämpfer in Kerbela, wo es in den vergangenen Tagen ebenfalls heftige Gefechten gab, signalisierte er jedoch, dass ihm wenig an einer friedlichen Lösung des Konflikts liegt. Im Gegenteil. Al-Sadr suchte sein Heil darin, seine Kämpfer immer näher im Umkreis der heiligen Stätten zu positionieren, um die Amerikaner zu einem Großangriff zu provozieren. Bereits vor seiner Freitagspredigt in Kufa hatte er seine Kämpfer in Nadschaf zum letzten Gefecht gerufen. Dass er dabei den Friedhof zum Kriegschauplatz machte, dürfte ihn nun endgültig ins Abseits manövriert haben.

In den Augen vieler Schiiten hatte al-Sadr schon den Frevel begangen, sich und seine Mahdi-Armee als irdische Vollstrecker des göttlichen Willens zu gerieren. Auch wegen seine Unberechenbarkeit hat der Prediger mehr und mehr die Sympathien der Schiiten verspielt. So waren bereits am Dienstag in Nadschaf tausende auf die Straße gegangen, um den Abzug der Milizionäre aus der Stadt zu fordern. Seit einiger Zeit beschweren sich die Bewohner über das rabiate Vorgehen seiner meist jugendlichen Kämpfer, die sich als Polizei aufspielten, Moscheen in Waffenlager verwandelten und Geschäfte plünderten.

Im Gegensatz zu den sunnitischen Kämpfern von Falludscha genießt die Mahdi-Miliz, die sich vor allem aus den armen Schichten der Großstädte rekrutiert, auch nicht den Rückhalt der führenden Riege von Geistlichen und Politikern. In Sadrs Gewaltkurs sehen sie eine Gefahr für ihre Pläne, die Zukunft des Irak zu bestimmen. Dank der schiitischen Mehrheit im Land spekulieren sie auf einen Sieg der religiösen Parteien bei den Wahlen in einem halben Jahr.

Wahlen wird es aber nur geben, wenn möglichst bald Ruhe im Land einkehrt. Insofern hüllten auch sie sich in Schweigen über die US-Offensiven gegen die Miliz in den vergangenen Tagen in Bagdad, Kerbela, Nadschaf und im zehn Kilometer entfernten Kufa – wo Sadr sonst seine Brandpredigten hält.

Schritt für Schritt hatten die Amerikaner den militärischen Druck erhöht und die Miliz damit immer mehr in die Enge getrieben. Bei den Kämpfen wurden mindestens 100 Sadr-Kämpfer getötet, unklar ist, wie hoch die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist. Zugleich drängten sie die schiitischen Mittler, eine Verhandlungslösung zu finden. „Wir haben alles für eine friedliche Lösung getan“, sagte Hamid al-Bajati vom Hohen Rat für die islamische Revolution am Freitag in Nadschaf. „Leider sind die Verhandlungen gescheitert.“ Dabei machte er indirekt al-Sadr für das Scheitern verantwortlich. Die Amerikaner erwähnte er mit keinem Wort. Der Gouverneur von Nadschaf ging noch einen Schritt weiter und sagte, die Amerikaner hätten für das Vorgehen gegen die Miliz grünes Licht von den Geistlichen.